Alicia II
spülten ihn mit einer gelblichen Flüssigkeit hinunter, die einen zartsüßen Beigeschmack hatte. Am Rand des Platzes entdeckten wir eine Bank und saßen dort lange Zeit schweigend.
Alicia wollte mich nicht ansehen. Sie beobachtete die Leute auf dem Platz, die Tänzer und die Spaziergänger, Narren, die sich im Vorübergehen vor ihr verbeugten, Kinder, die den Erwachsenen zwischen den Füßen herumliefen. Ich berührte Alicias Hand, und anscheinend merkte sie es eine ganze Weile nicht. Schließlich sagte ich: »Es tut mir leid.«
»Gott, Voss, laß uns nicht wieder in eine solche Stimmung geraten. Dir tut es leid, mir tut es leid, verzeih, wenn ich dir wehgetan habe, und all dieser Unsinn. Im Grunde möchtest du nur, daß ich dir etwas Beruhigendes sage.«
»Ist das nicht verständlich?«
»Nein. Durchaus nicht. Aber frag mich nicht, warum. Die Erklärung wäre eine ebensolche Falle wie das dauernde Entschuldigen.«
Sie blickte weiter auf Dinge, die sie nicht zu sehen schien.
Ich hätte sie gern in den Arm genommen.
»Es ist nicht meine Absicht, dir irgendwelche Fallen zu stellen. Und es ist aufrichtig gemeint, wenn ich sage, es tut mir leid. Und wenn es nur wegen der Tatsache wäre, daß ich unfähig bin, dich körperlich zu lieben. Schon das allein …«
»Es hat … hat keinen Zweck, weiter darüber zu reden. Auch mir tut deine Impotenz leid. Ich bin …«
»Impotenz ist nicht ganz das richtige Wort. Schließlich ist es keine Fehlfunktion, die auf ein kompliziertes Zusammenwirken von emotionalen oder körperlichen Störungen zurückzuführen ist. Einer deiner kostbaren Ausgemusterten hat sich die Zeit genommen, diesen Körper zu sabotieren, beziehungsweise ihn sabotieren zu lassen. Damit wollte er bestimmt nicht erreichen, daß ich eurer ach so herrlichen Sache beitrete.«
Ich weiß nicht, warum ich in diesem Augenblick solchen Wirbel machte, warum ich auf der Bedeutung von Wörtern herumritt. Was war das in meinem Unterbewußtsein, das Impotenz zu einem so gefährlichen Wort machte? Wenn Alicia es sagte, es laut aussprach, geriet ich aus der Fassung. Ich hatte das Gefühl, sie im Stich gelassen zu haben. Den Akt aus welchem Grund auch immer nicht zustande zu bringen, war eine Sache, und eine ganz andere war es, dieses Versagens wegen der Impotenz angeklagt zu werden. Ich vermute, mein Ärger über den Vorwurf entlud sich in Groll auf meinen Saboteur. Bis zu diesem Augenblick hatte ich dem früheren Besitzer meines Körpers in meinen Gedanken keine besondere Identität eingeräumt. Sobald der gute alte Ernie der Saboteur wurde, schien er an Eigenständigkeit zu gewinnen. Zumindest war er der Mann, der mich zu meiner gegenwärtigen frustriert-romantischen Hilflosigkeit verurteilt hatte. Das war ein ausreichender Grund, ihn zu hassen, besonders wenn ich dabei in Alicias süßes Gesicht sah. Ich rekonstruierte den Mann in meinem Geist und haßte ihn aus ganzem Herzen. Und die Rekonstruktion war so einfach, weil er aussah wie ich.
Alicia blieb länger als eine Minute stumm. Ich glaube, sie rang mit den Worten, die sie sagen wollte. Schließlich flüsterte sie ganz leise: »Ich habe nicht nur über deine körperliche Impotenz gesprochen. Die kann ich akzeptieren, ich könnte mich damit sogar für den Rest meines Lebens abfinden. Den Rest meines niemals erneuert werdenden Lebens. Es ist eine geringfügige Sache, Voss. Wie du sagtest, nichts weiter als eine bloße physische Fehlfunktion. Traurig, aber für mich nicht beängstigender, als wenn du einen Arm oder eine Niere verloren hättest, wenn du falsche Zähne tragen müßtest. Aber siehst du denn nicht ein, daß du auf jeder wichtigen Ebene impotent bist? Du bist gesellschaftlich impotent, du paßt nirgendwohin. Du funktionierst unter Menschen nur, wenn du eine deiner Posen annimmst – unter denen die des galaktischen Helden übrigens die blödeste ist. Und wie steht es mit deiner Impotenz als menschliches Wesen? Du hältst dich aus allem heraus, Voss. Du spielst mit mir, du amüsierst dich mit Ben an lahmen Sophistereien, du kannst nicht einmal mit Stacy, den du ständig als deinen großartigen guten Freund hinstellst, offen reden. Jesus und Ethel, wenn du mit uns in keiner Weise direkt und engagiert zu verkehren vermagst, wie kann ich dann erwarten, daß du dich für eine gottverdammte Sache einsetzt? Dir kann man soviel Lebensspannen geben, wie man will, du bleibst trotzdem immer draußen, du verschmähst trotzdem jede echte Berührung mit einem von
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