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Alicia II

Alicia II

Titel: Alicia II Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Thurston
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nur eine geringfügige Provokation, um sich gegenseitig umzubringen.
    Jetzt erst fiel mir auf, daß Teile der Stadt eindeutige Zeichen des Verfalls trugen. Hier blätterte eine Fassade ab, dort entstand ein Riß. Ich dachte daran, was ich in den alten Zeiten über die Stadt gehört hatte, als sie einer der schlimmsten Horte der Übervölkerung gewesen war. Später war sie entsprechend den fortschrittlicheren städtebaulichen Theorien, die die Volksmassen neu gruppierten und umsiedelten, umgebaut und renoviert worden. Nun fragte ich mich, ob die Geschichte sich wiederhole. Jedenfalls waren zu viele Menschen vorhanden.
    In unserer Hotel-Suite stellte ich fest, daß Stacy sie nicht bewohnte. Er hatte eine kurze Nachricht hinterlassen, er habe sich an einen anderen Ort begeben – es ließ sich schließen, daß das außerhalb der Stadt war – und er wisse nicht, wann er zurückkomme. Bei Stacy wußte man so etwas nie. Er mochte bald auftauchen, er mochte jahrelang wegbleiben. Stacy würde kommen, wenn er Lust dazu hatte, und damit hatte es sich.
    Aber es beunruhigte mich, daß ich in den Zimmern der Suite überhaupt keine Spuren mehr von ihm fand.
    Ich versuchte, mich mit Ben in Verbindung zu setzen, doch auch er hatte die Stadt verlassen. Laut June im Auftrag der Regierung.
    Aus Langeweile ging ich spazieren, aber ich kam nicht weit.
    Eine Menschenmasse hatte sich einige Straßen vom Hotel entfernt versammelt. Es war kein Durchkommen. Ich fragte eine Frau am Rand der Menge, was geschehen sei. Nach dem, was sie mir berichtete, hatte eine sehr große Attentäter-Gruppe einen Überfall gemacht. Drei oder vier Kommandos hatten sich zusammengeschlossen und eine Reihe von Leuten auf der Straße niedergeknallt. Die meisten Toten waren offenbar in der dritten oder vierten Lebensspanne und auf dem Heimweg von einem Treffen gewesen. Es waren nicht genug Krankenwagen eingetroffen, um die Leichen wegzubringen, und mit einiger Wahrscheinlichkeit würden ein paar der nicht beschädigten Toten keine vierte oder fünfte Lebensspanne mehr bekommen.
    Ich rechnete damit, daß Alicia jederzeit auftauchen könne, wie sie es früher so oft getan hatte. In den nächsten Tagen hielt ich ständig nach ihr Ausschau, besonders wenn die Luft sich seltsam anfühlte, aber sie zeigte sich nicht. Ich unternahm lange Spaziergänge in der Hoffnung, sie werde mir über den Weg laufen, und versuchte ein paarmal ohne Erfolg, sie aufzuspüren. Bei einem Anruf in ihrer Agentur teilte mir ein Mann mit angenehmer Stimme mit, sie wüßten nie, wo Alicia stecke, aber in der vergangenen Woche sei sie mehrmals kurz dagewesen. Ich hinterließ eine Nachricht für sie.
    Ich grübelte viel über unseren Ausflug zum St. Ethel-Camp.
    Manchmal bedauerte ich alles, was sich dort ereignet hatte, manchmal bedauerte ich nur einen Teil der Ereignisse, und immer bedauerte ich diese letzten Augenblicke, als ich sah, wie Rosalie fortgeführt wurde. Da ich nichts Besseres zu tun hatte, suchte ich Kontakt mit jemandem aufzunehmen, der mir sagen konnte, was mit Rosalie geschehen war. Schnell fand ich heraus, daß es keine Möglichkeit gab, diese Information auszuschnüffeln. Kein einziger Beamter sprach es mir gegenüber je aus, daß die Sache unter Geheimhaltung fiel, aber es war klar, daß sie es tat. Besonders argwöhnisch machte es mich, wenn ich bei meinen Nachforschungen angeben sollte, wer ich sei und wieso ich mich für eine Polizeiaktion interessiere, die eine Ausgemusterte betreffe. Einmal erkundigte ich mich, ob sie in die Erneuerungskammer geschickt worden sei. Mein Gesprächspartner schien die Frage als Beleidigung aufzufassen, als ein Thema, das höfliche Menschen gar nicht erst anschneiden. Das war eine Haltung, der ich früher schon begegnet war.
    Ich hätte gründlichere Nachforschungen über Rosalies Verschwinden anstellen können, aber mit dem Eintritt Pierre Madlings in mein Leben wurde meine ganze Welt auf den Kopf gestellt.
     

 
2
     
    Pierre Madling war interessant anzusehen, und zwar auf die Weise, wie besonders unattraktive Menschen interessant sind.
    Er war klein mit schmalen Schultern und enger Brust über einem nicht dazu passenden Kugelbauch und Spindelbeinen. In den Zeiten, als Birnen reichlicher vorhanden waren, hätte man ihn birnenförmig genannt. Trotzdem hätte er mit diesem Körper immer noch fabelhaft ausgesehen, wäre sein Gesicht nicht wirklich abstoßend gewesen. Ständig tränende Augen trieben unter schweren Wolken von dicken schwarzen

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