Alicia
Brian still. »Tagelang weint ihr schon in diesem Verlies und erkundigt Euch nur nach anderen Leuten. Weshalb habt Ihr geweint? Euretwegen oder aus Sorge um Eure Brüder? «
Mary sah auf ihre Hände. »Ich bin ein schwächliches, feiges Ding. Ich wünschte, ich fände Kraft im Gebet, doch meine Brüder haben mich gelehrt, realistisch zu sein. Wenn sie entdecken, daß ich entführt wurde, werden sie wütend sein. Stephen und Gavin werden sachlich und ruhig ihre Vorbereitungen treffen, doch weder Raine noch Miles werden kühl zur Sache gehen. «
»Was werden sie tun? «
»Das kann niemand Vorhersagen. Raine ist im Grunde ein gutmütiger Bär, doch Ungerechtigkeit kann er nicht vertragen. Und Miles ist schrecklich jähzornig, wenn er herausgefordert wird. Unberechenbar. «
»Es darf zu keiner Fehde kommen«, sagte Brian und stand auf. »Ich werde zu Roger gehen und fordern, daß er Euch freiläßt. «
Mary stand neben ihm, kleiner als er. »Solltet Ihr nicht lieber bitten? Wird eine Forderung ihn nicht erzürnen? «
Brian sah sie an, ihre weichen Rundungen, ihre großen ausdrucksvollen Augen. Sie gab ihm ein Gefühl, als sei er stark wie ein Berg. Er hatte nie etwas von Roger gefordert. Sie hatte recht. Wie kann man von einem Menschen etwas fordern, den man so sehr liebte?
Er strich sanft mit der Hand über Marys Gesicht. »Ich werde Euch aus diesem Verlies befreien. Das verspreche ich Euch. «
»Und ich glaube Euch«, sagte Mary mit großem Vertrauen.
Brian sah sich in der feuchten Zelle um. »Das ist ein schmutziger Ort, keine Wohnung für Euch. Ihr müßt ihn sofort mit mir verlassen. «
»Nein! « Sie wich vor ihm zurück. »Wir müssen vorsichtig sein. Wir dürfen Euren Bruder nicht erzürnen. Vielleicht sagt er dann Dinge, die er nicht mehr zurücknehmen kann. Ihr müßt warten bis zum Morgen, wenn er erholt ist vom Schlaf, ehe Ihr mit ihm redet. «
»Wie könnt Ihr Euch so sehr um meinen Bruder sorgen, daß Ihr lieber noch eine Nacht in diesem stinkenden Loch verbringt? «
Sie antwortete ihm nur mit den Augen. »Geht jetzt in Frieden. Ihr braucht Euch meinetwegen keine Sorgen zu machen. «
Er ergriff ihre Hand und küßte sie. »Ihr seid eine gute Frau, Mary Montgomery! « und damit verließ er sie.
Roger sah seinen kleinen Bruder bestürzt an.
»Ich will, daß sie aus dieser Zelle ausquartiert wird«, sagte Brian ruhig. Er hatte Marys Rat befolgt und Roger erst am Morgen zur Rede gestellt. Allerdings hatten sie beide nicht geschlafen. Davon zeugten die dunklen Schatten unter ihren Augen.
»Brian, bitte… «, begann Roger mit dieser Stimme, die er nur seinen jüngeren Geschwistern gegenüber zeigte.
Brian blieb hart. »Ich habe immer noch nicht den Grund erfahren, weshalb du sie gefangenhältst. Einerlei — sie muß heraus aus dieser Zelle. «
Roger wandte sich von Brian ab, damit er nicht den Schmerz in seinen Augen sah. Wie konnte er ihm erklären, welche Demütigungen er durch die Montgomerys erfahren hatte? Er war immer der Verlierer gewesen. Nun wollte er die Montgomerys lehren, daß er auch Zurückschlagen konnte.
»Es wird ihr kein Leid geschehen«, sagte Roger. »Das verspreche ich dir. «
»Warum sie dann festhalten? Laß sie sofort frei, ehe es zu einem Familienkrieg kommt. «
»Dafür ist es bereits zu spät. «
»Was meinst du damit? «
Roger sah zurück auf seinen jüngeren Bruder. »Raine Montgomery sollte an der Spitze einiger hundert Soldaten des Königs nach Wales reiten, als er erfuhr, daß ich Mary entführt habe. Er kehrte mit den Männern um, um uns anzugreifen. «
»Was! Wir werden angegriffen? Wir sind darauf nicht vorbereitet! Weiß er denn nicht, daß er heutzutage nicht einfach einen Krieg vom Zaun brechen kann? Es gibt Gesetze, die uns davor schützen. «
»Der König hat sich mit Raine getroffen. Er war so wütend, daß er Männer für eine private Fehde mißbraucht, daß er den Bann über ihn aussprach. Raine hat sich in den Wäldern versteckt. «
»Gütiger Gott! « hauchte Brian und ließ sich auf einen Stuhl fallen. »Wir haben keine Festung wie die Montgomerys. Wenn wir sie freiließen… «
Roger betrachtete seinen Bruder mit Respekt. »Ich hatte nicht beabsichtigt, dich in diese Fehde hineinzuziehen. Du mußt dieses , Haus verlassen. Zieh dich auf eines meiner anderen Besitztümer zurück. Ich werde bald zu dir stoßen. «
»Nein! « erwiderte Brian mit Entschiedenheit. »Wir müssen diesen Streit beenden. Wir werden eine Botschaft an den König und
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