Alicia
machten, um die Pferde zu tränken, hatte der Mann sie zu Boden geworfen und begonnen, sie auszuziehen. Alicia war vollkommen unschuldig gewesen und sehr erschrocken. Als der Mann sich entkleidete und über ihr stand, seine Männlichkeit vorgereckt, als wäre er sehr stolz darauf, fing Alicia, die bisher nur Bullen und Hengste gesehen hatte, an zu lachen, und vor ihren Augen war der Mann wieder erschlafft. Sie hatte an diesem Tag zweierlei gelernt. Einmal, daß sie nie mit einem Mann allein ausreiten durfte, und zum zweiten, daß ihre Furcht einen Mann erregte, wohingegen ihr Lachen ihn auf der Stelle vernichtete.
Sie hatte ihrem Vater nichts von diesem Vorfall erzählt. Drei Monate später wurde der Mann bei einem Weidegefecht getötet.
Es sollte ihr eine Genugtuung sein, daß sie Roger auf die gleiche Weise bestraft hatte. Doch sie spürte nur Trauer und Verlangen nach Stephen. Sie brauchte ihn so sehr. Er war das Fundament ihres Seins. Er bewahrte sie vor törichten Handlungen. Wäre er in Larenston gewesen, würde Rab noch leben und sie nicht in der Gewalt von Roger Chatworth sein.
18. Kapitel
Brian Chatworth schlich sich vorsichtig zur Treppe, die in den Keller hinunterführte. Das Chatworth-Haus war über einer alten Burg errichtet worden, die sein Großvater erobert und zerstört hatte. Manche Leute sagten, es läge ein Fluch auf einem Haus, das man über der Wohnung seines Feindes errichtet.
Brian dachte an die Worte seines Bruders, daß ein Geist im Haus lebte, und lächelte. Roger suchte immer seine schützende Hand über seinen kleineren Bruder und die kleine Schwester zu halten. Als sie noch Kinder gewesen waren, war dieser Schutz nötig gewesen. Doch nun, seit Edmunds Tod, gehörte er selbst zu den Erwachsenen. Man brauchte nichts mehr vor ihm zu verstecken. Da weinte eine Frau, und Brian war entschlossen, der Sache auf den Grund zu gehen. Vermutlich war es eine Küchenmagd, die sich in Roger verliebt hatte und weinte, weil Roger ihre Liebe nicht erwiderte. Brian erkannte, daß Roger immer noch in dem Glauben befangen war, sein kleiner Bruder wisse nichts von dem, was sich zwischen Mann und Frau abspielte. Für Roger war er, Brian, immer noch ein kleiner, furchtsamer Junge.
Er hielt am Fuß der Kellertreppe an. Die Kellerräume waren dunkel, gefüllt mit Weinfässern und Bottichen voller Salzfische.
Als er lauschte, vernahm er das Klappern von Würfeln und das Gelächter zweier Wächter. Er barg sich hinter den Fässern und schlich in deren Schutz zu dem verschlossenen Raum am Ende des Kellerganges.
Das Weinen wurde lauter, je näher er der Tür kam. Es war ein weicher, herzerschütternder Laut, der aus einer verwundeten Seele kam. Nun wußte er, warum die Wächter sich in die entgegengesetzte Richtung zurückgezogen hatten. Sie konnten das Weinen der Frau nicht mehr aushalten.
Brian spähte in die Zelle. In einer Ecke lag wie ein formloser Haufen eine Frau in einer Nonnentracht.
Brian konnte nur mit einem entsetzten Keuchen nach dem Schlüssel greifen, der neben der Tür an einem Nagel hing. Er schloß auf, und die Tür schwang auf gut geölten Angeln lautlos nach innen.
»Schwester«, flüsterte Brian, während er sich neben ihr hinkniete, »bitte, wie kann ich Euch helfen? «
Mary sah mit furchtsamen Augen zu ihm auf. »Bitte, bindet mich los«, flüsterte sie. »Meine Brüder werden deswegen einen Krieg beginnen. Bitte, ich kann nicht mit ansehen, daß meinetwegen Leid geschieht. «
Brian sah sie verwirrt an. »Eure Brüder? Wer seid Ihr? Was habt Ihr Roger getan, daß er Euch gefangenhält? «
»Roger? « fragte Mary. »Ist das der Mann, der mich entführen ließ? Wo bin ich? Wer seid Ihr? «
Brian starrte sie an. Ihr ovales Gesicht war angeschwollen, ihre sanften Augen gerötet und verstört. Sie erinnerte ihn plötzlich an seine Schwester Elisabeth. Elisabeth war so rein und süß wie ein Engel, und diese Frau sah wie eine Madonna aus. »Ich bin Brian Chatworth, und das ist meine Wohnung, das Herrenhaus der Chatworth. Es gehört meinem Bruder Roger. «
»Chatworth? « Mary setzte sich auf. »Mein Bruder liebte einst eine schöne Frau; doch sie heiratete einen Mann namens Chatworth. «
Brian setzte sich auf seine Fersen. Er begann, Zusammenhänge zu erkennen. »Ihr seid eine Montgomery! « flüsterte er erschrocken. »Ich wußte nur von vier Brüdern. Ich hatte keine Ahnung, daß sie noch eine Schwester hatten. «
»Ich bin die älteste von fünf Geschwistern, Mary Montgomery.
Weitere Kostenlose Bücher