Alien 1: Vierhundert Milliarden Sterne
seiner
Gesundheit. Trotzdem wird er uns für diesen Zweck genügen.
Willkommen in meinem Gehege. Ich habe verstanden, daß Sie ein
Astronom sind. Vielleicht müssen wir in der Zeit, die uns
miteinander bleibt, viel vom anderen lernen. Trotzdem sollten Sie
erfahren, daß ich in groben Zügen über Sie Bescheid
weiß.«
»Dann sollten Sie wiederum auch wissen, daß wir gegen
Sie nichts Böses im Schilde führen«, antwortete Dorthy
und versuchte dabei, ihrer Stimme einen festen Klang zu geben. Sie
hatte immer geglaubt, daß der Tod dem ihm Geweihten willkommen
sei – als eine glückselige Ewigkeit der Stille. Aber jetzt
mußte sie erkennen, wie sehr sie am Leben hing. Sie wollte noch
nicht sterben.
Das weibliche Neutrum beobachtete sie. Seine Augen waren, obwohl
es sich auf dem Boden ausgestreckt hatte, in gleicher Höhe mit
denen von Dorthy, die aufrecht vor dem Wesen stand. Die Kreatur, die
die Weibliche kraulte, beobachtete Dorthy ebenfalls mit großen
Augen.
»Sie vielleicht nicht«, erwiderte die Weibliche. Sollte
die Antwort ironisch gemeint gewesen sein, so ging diese Tatsache bei
der Übermittlung verloren.
»Wir versuchten, in der Burg mit euch Kontakt
aufzunehmen.«
»Das weiß ich. Natürlich wollten meine Brüder
und Schwestern nichts mit euch zu tun haben, weil sie eure Sprache
nicht verstehen konnten. Und ihre veränderten Kinder, die euch
verstehen konnten, hätten euch vernichten wollen.«
»Aber Sie wissen von uns, verstehen uns. Darf ich fragen,
wie…?«
Urplötzlich zuckte ein gebündelter Strahl orangefarbenen
Lichtes vor dem weiblichen Neutrum auf. Es bewegte seine dreifingrige
Hand hindurch, und sofort hallte eine schockierende Kakophonie
menschlicher Stimmen über die Plaza. Der Übersetzer bebte
noch stärker. Im nächsten Augenblick war das orangefarbene
Webnetz mit flackernden blauen Lichtern besetzt. Die Weibliche
deutete auf eins davon. Sofort pulsierte es stärker und heller
als die übrigen. Das Stimmengewirr verebbte zu einer einzigen
Frauenstimme, die in klar verständlichen Worten eine Reihe von
Zahlen verlas und nur kurz schwieg, um dann fortzufahren: »Nein,
Punkt Zwei-Null-Drei auf dem Azimut, oder du wirst die längste
Strecke auf der Tagseite haben, merkst du das nicht?« Danach
begann sie wieder ihre Zahlenkolonnen herunterzubeten.
Die Weibliche bewegte wieder die Hand, und das Lichtnetz erlosch.
Die Stimme erstarb mitten im Wort.
Der Übersetzer meldete sich wieder. »Vor langer Zeit
baute eine meiner Schwestern analytische Maschinen, um den Himmel zu
beobachten. Sie blieben uns aus einem Grund erhalten, an den ich mich
nicht erinnere. Seit eure Flotte aufgetaucht ist, habe ich sie dazu
eingesetzt, eure Sprache zu studieren. Mein armer Bruder hier hat das
Ergebnis absorbiert. Begreifen Sie also, daß eure Kommunikation
mir nicht verschlossen blieb. Die Bewegung eines einzigen Elektrons
verschiebt den Orbit von Myriaden anderer durch das gesamte Universum
hinweg. Schon damit erlangte ich weitgehend Einblick in eure Art,
aber zunächst ist es mir gelungen, an ein religiöses
Dokument heranzukommen, das mir den Schlüssel zu eurer Rasse
lieferte.«
»Ein religiöses…?«
»Ich habe es gelesen. Sollte ich damit eine Blasphemie
begangen haben, bitte ich um Vergebung. Aber das war notwendig, um
euch verstehen zu können. Eure Kommunikation bestand ja
lediglich aus Zahlen. Jetzt gebe ich Ihnen das Dokument
zurück.« Auf ein neuerliches unsichtbares Zeichen sprang
ein anderer Hüter vor und legte etwas vor Dorthys
Füßen ab. Während er zu seinen Artgenossen
zurückhüpfte, hob Dorthy es auf. Es war ein Buch. Ihr Buch!
Die Sonette, die sie verloren hatte, als die Critter ihr Lager
überrannten. Aber es war nicht das ursprüngliche Buch, wie
sie gleich darauf feststellte, sondern ein gut gemachtes,
detailgetreues Faksimile. Die Seiten waren nicht aus vergilbtem
Papier, sondern aus einer faserigen Substanz, die man gemahlen hatte,
um den holzigen Papierbrei zu imitieren. Die Ornamental-Buchstaben
waren nicht aufgedruckt, sondern offenbar in die Blätter
eingebrannt worden, der Umschlag härter als Leder, und trotzdem
an der Stelle mit einer Fleckimitation versehen, wo sie vor drei
Jahren am Fra Mauro versehentlich ein Glas Weißwein
darüber verschüttet hatte. Die Sonette. William
Shakespeare.
»Sie haben mit seiner Hilfe gelernt, uns zu begreifen?«
fragte Dorthy.
»Ich verstehe jetzt vielleicht etwas besser, wonach ihr
Menschen strebt. Es ist zwar eine mystische
Weitere Kostenlose Bücher