Alien Earth - Phase 1
zu fürchten hat … Oder das: Die Aliens sind gar keine. Es handelt sich um unsere Nachfahren, die aus der fernen Zukunft zurückgereist sind und nun so entsetzt sind über uns rückständige Barbaren, dass sie nicht wissen, was sie mit uns anfangen sollen!«
Fragen über Fragen, über denen Stunden vergingen. Bis Paul genug hatte. Dann brach er mitten im Satz ab, stand auf, ging auf die Knie und konzentrierte sich auf seine Modelleisenbahn. Sie nahm einen stetig zunehmenden Anteil an den Räumen der Kanzlei ein und stellte eine Großbaustelle dar, die nie zum Abschluss kam. Ekin hatte nie jemanden gekannt, der so verrückt gewesen wäre, eine Modelleisenbahn zu besitzen, aber ihr war sonnenklar, dass ihr Sinn darin bestand zu fahren. Modelleisenbahnen waren zu klein, um Überflussmenschen hineinzuquetschen, und das war es gewesen, was Bahnen früher gemacht hatten: Sie fuhren. Nicht Pauls. Seine Modelleisenbahn stand. Ekin kam es vor, als richte sich sein gesamter Ehrgeiz darauf, das Maximum an Gleisen und Zügen auf einem Minimum an Fläche unterzubringen. Nie war er mit den Ergebnissen für länger als ein paar Tage zufrieden. Dann nahm er sein Schienennetz komplett auseinander und fing von vorne an.
An manchen Tagen, bevor Paul in die Kanzlei kam, hielt Ekin auf ihren zwanghaften Wegen von und zur Magico-Maschine inne und nahm sich einen Augenblick Zeit, Pauls aktuelles Schienennetz, seine bunten Taschenwelten und seinen Alien-Ramsch zu betrachten. Irgendwo in diesen Haufen musste sich der Schlüssel zu Paul verbergen. Für gewöhnlich blieb Ekin einige Minuten stehen, wartete auf die Eingebung, die nicht kommen wollte, und setzte ihren Weg fort. Kopfschüttelnd. Die Aliens hingen der Menschheit im Nacken, setzten sich in den Köpfen von Menschen fest - und Paul hatte nichts Besseres zu tun, als Ramsch zu sammeln, sich in Fantasiewelten zu verlieren und mit Schienen und Zügen zu spielen.
Es überstieg Ekins Horizont.
Heute hatte Paul keinen Eisenbahn-Tag. Ekin sah zum Fenster. Pauls Display spiegelte sich darin. Er hatte den Schirm viergeteilt,
wie üblich, wenn er am Rechner saß. Ein Viertel für die von HunterNet vorselektierten Anzeigen, eines für AlienNet - »um über den Tellerrand hinauszuschauen«, wie Paul es nannte -, zwei für das, was ihm gerade einfiel. Paul ahnte nicht, dass Ekin ihn beobachtete. Das allein schon war Grund genug für Ekin, es zu tun. Cleverer zu sein als Paul war ein Gefühl, das sie nur selten kosten konnte.
Paul holte HunterNet in den Vordergrund, klickte sich durch die Anzeigen. Natürlich auf Paul-Weise: Er sprang willkürlich von Anzeige zu Anzeige, gönnte manchen nur einen Augenblick, anderen lange Minuten.
Kein aufregender Anblick, musste Ekin sich eingestehen. Nach einigen Minuten wandte sie sich wieder der eigenen Arbeit zu und behielt das spiegelnde Fenster nur aus dem Augenwinkel im Blick. Es gab nicht viel zu sehen, aber das Gefühl, dass Paul nichts davon ahnte, beobachtet zu werden, tat ihr zu gut, um es nicht bis zur Neige auszukosten.
Nach einer Weile sah sie wieder auf ihr eigenes Display. Ein Ehepaar, das angeblich Waffen in seinem Keller hortete. Ekin überlegte einen Augenblick, leitete den Fall dann an die Polizei weiter. Zu direkt für Aliens. Eher AlienNet-Aktivisten, die genug von Worten hatten, oder Endzeit-Gläubige, die sich auf den Jüngsten Tag vorbereiteten.
Ein Verwaltungsbeamter, von einem Kollegen angezeigt. Ging manchmal wegen Nichtigkeiten in die Luft, wirkte die übrige Zeit apathisch. Persönliche Probleme? Ekin überprüfte seinen Hintergrund. Keine familiären oder finanziellen Turbulenzen. Eine psychische Erkrankung? Sie setzte einen Marker auf die Anzeige und ging zur nächsten.
Eine Frau, die ihre Bekannten zur Seite nahm und ihnen beichtete, ein Alien zu sein, und gegen Zahlung einer erheblichen Summe ihren persönlichen Schutz bei der bevorstehenden Invasion zusicherte. Ekin schüttelte irritiert den Kopf. Wie konnte derart durchsichtiger Mist durch die HunterNet-Filter gelangen?
Sie blickte zum Fenster hinaus. Eine Straßenbahn arbeitete
sich quietschend um die Kurve. Sonst war niemand zu sehen. Die Leute mieden die Hitze. Sie … was?
Ekin ruckte hoch. »Paul!«
Eine blitzschnelle Bewegung am anderen Schreibtisch, dann ein unschuldiges »Ja?«
»Was hast du da eben gemacht?«
»Was du mir immer predigst: Ich habe gearbeitet.«
»Nein, nicht das. Mit der freien Hand!«
Paul hob einen Arm. Langsam, so als habe Ekin eine
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