Alien Earth - Phase 1
Deckel wieder auf und wuchtete den Kanister zur Seite.
Es war die letzte Beachtung von Pauls Seite, die der Kanister erfahren würde. Morgen, spätestens in ein paar Tagen, würde er verschwunden sein - entsorgt, verschenkt oder verkauft. Es
war der übliche Zyklus von Pauls Leidenschaft für Ramsch: Der kurzen Phase des Um-jeden-Preis-haben-Wollens folgte die schlagartige Abkühlung und danach die Veräußerung. Der durchschnittliche Alienschlüsselanhänger durchlief den Zyklus innerhalb von Stunden, wie überhaupt der meiste Ramsch, der mit Aliens zusammenhing. Ekin mutete es manchmal wie eine bloße Pflichtübung an. Paul kaufte das Zeug aus einem Impuls heraus, der sich längst verbraucht hatte. Eine Alien-Puppe sah er sich ein paar Sekunden an, dann flog sie mit Wucht in die Ecke, als wolle Paul sie dafür bestrafen, dass sie ihn enttäuscht hatte. Und doch: Die Hoffnung musste hartnäckig genug sein, um Paul weiter Alien-Ramsch hinterherjagen zu lassen.
Bessere Aussichten auf eine höhere Verweildauer in der Kanzlei und Pauls Aufmerksamkeit hatten die Taschenwelten. Vor einiger Zeit, aus der Wut über ihren unmöglichen Partner heraus - und auf Anraten Trixies -, hatte Ekin eine Woche lang Buch darüber geführt, worauf Paul mehr Zeit verwandte: auf die Taschenwelten oder die Recherchearbeit? Die Recherche war mit einem hauchdünnen Vorsprung durchs Ziel gegangen, und Ekin wurde den Verdacht nicht los, dass es nur daran gelegen hatte, dass Paul sie durchschaut hatte. Paul, das gestand Ekin sich ein, hatte ihr eines voraus: Er war in der Lage, sich auf mehrere Dinge zugleich zu konzentrieren. Ekin dagegen musste ihre ganze Aufmerksamkeit immer auf die Aufgabe lenken, die vor ihr lag, und die übrige Welt ausschlie ßen.
Die Taschenwelten waren eine Konstante in Pauls Welt. Jeden Tag brachten Paketboten Dutzende von ihnen ins Büro. Paul breitete sie vor sich auf dem Schreibtisch aus und genoss eine Zeit lang die Vorfreude. Er nahm mal eine, mal zwei in die Hände und befühlte sie mit einer Vorsicht, als bedeute ein falscher Handgriff einen Weltuntergang, aber noch schloss er sich an keine an. Die meisten der Taschenwelten hatten abgerundete Formen, passten bequem selbst in eine kleine Hand oder in eine Hosentasche - sie trugen ihren Namen nicht umsonst -, aber manche gingen ihre eigenen Wege, kamen als Spazierstock daher
oder eingewebt in ein T-Shirt oder als Tierfigur, als vierrüsseliger Elefant oder natürlich als vielgliedriger Alien.
Hatte Paul genug von der Vorfreude, legte er die Kontakte an und war fort von dieser Welt.
Es war ein Anblick, der Ekin unangenehm war. Pauls Blick war leer, wenn er in einer Taschenwelt weilte, als hätte er - oder sein Geist, seine Seele, seine Essenz, wie immer man es nennen mochte - den Körper verlassen. Aber sie hatte sich daran gewöhnt. Mit Paul als Partner gewöhnte man sich an vieles. Und Pauls Trips in die Taschenwelten hatten immerhin den Vorteil, dass sie ungestört die Anzeigen durcharbeiten konnte.
Bis er zurückkehrte.
»Stell dir vor …«, sagte er dann, und sein Blick war plötzlich stechend und ließ nicht mehr von ihr ab, »stell dir vor, der Dritte Weltkrieg hätte letztes Jahrhundert stattgefunden. Irgendwer hätte die Nerven verloren, den roten Knopf gedrückt und zehn Minuten später … bumm! Alles weg, nuklearer Winter. Radioaktive Eiswüsten. Eine Hand voll verstrahlte Überlebende stolpern umher - und dann kommen die Aliens. Was würden sie tun? Dem Haufen Menschen den Gnadenschuss verpassen? Sie jagen und ausmerzen, damit die Unreife des Menschen nicht die sternenfahrenden Rassen anstecken kann? Oder hätten sie Mitleid mit den armen Teufeln und würden sie an einen besseren Ort mitnehmen, um ihnen eine zweite Chance zu geben?«
Und dann schwieg Paul, als erwarte er ernsthaft eine Antwort von ihr. Aber wenn sie endlich so weit war, irgendetwas darauf zu sagen, war er schon weiter.
»Oder stell dir das vor!«, rief er und hielt eine Taschenwelt hoch. »Die USAA lassen sich im Zweiten Taiwan-Krieg nicht von den Chinesen bluffen. Taiwan bleibt amerikanisch. Das kommunistische Regime wankt, ausgehend vom Süden, wo die Leute einen Vorgeschmack von Wohlstand bekommen haben. China fällt an die USAA. Und wenn die Aliens auftauchen, sehen sie sich einem Machtblock gegenüber, der 70 Prozent der Menschheit, 80 Prozent der globalen Wirtschaftsmacht und 95 Prozent der militärischen Schlagkraft vereint. Dann würde man schon
merken, wer hier wen
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