Alien Earth - Phase 2
Einkaufsmeile. Der Griff von Rudis Hand lockerte sich etwas, als der übliche dichte Verkehr den Konvoi verschluckte. Das hier war das normale Leben, kein Zweifel. Ciudad del Este, aus dem die Republica hervorgegangen war, hatte von jeher vom Handel gelebt. Früher war es die Lage an der Grenze zu Brasilien gewesen, von der es profitiert hatte, jetzt war es die Verquickung mit der USAA: Nirgends auf dem Kontinent gab es ein größeres Angebot an amerikanischen Taschenwelten, perfekt konfektioniert für den südamerikanischen Markt vom industriellen Komplex, in dem sich die Filmindustrie neu erfunden hatte. Ganze Großfamilien quetschten sich in ihre klapprigen Ethanolwagen und überquerten den halben Kontinent für einen Kofferraum von Traumwelten, die zuverlässig innerhalb von Monaten den Geist aufgeben würden.
Von allen Seiten im Verkehr eingekeilt, setzte der Konvoi seine Fahrt fort. Im Schritttempo, unterbrochen von langen Ampelstopps. Ramon teilte Rudis Erleichterung nicht, und tat er es doch, ließ er es sich nicht anmerken. Er schwieg, starrte entweder mit seinem Adlerblick nach draußen oder rief Bilder der Konvoikameras auf das Display, musterte die vielen Shopper, die mit im Bann ihrer neu erworbenen Taschenwelten auf den Gehwegen liegen geblieben waren, als handele es sich bei jedem von ihnen um einen verkappten Elitesoldaten der Garda.
Zehn Minuten vergingen ohne Zwischenfall, zwanzig. Niemand beachtete den Möbeltransport. Laster, die anlieferten, waren zu jeder Tages- oder Nachtzeit in der Stadt unterwegs. Wer den weiten Weg nach Ciudad del Este auf sich nahm, wollte nicht mit einem halb gefüllten Kofferraum zurückkehren.
Endlich kam vor ihnen das trübe Wasser des Paraná in Sicht - und die Freundschaftsbrücke. Jenseits der Brücke gab es keine Läden, dort erwartete sie der Flughafenzubringer und freie Fahrt zum Flugplatz. Sie hatten es geschafft.
Rudi holte tief Luft, löste vorsichtig die verkrampfte Hand vom Türgriff und sah zu Ramon. »Na also, wir …«
Der Knall einer Explosion schnitt ihm das Wort ab. Einen Augenblick lang war es, als hätte jemand die Zeit angehalten: Die Shopper, die sich eben noch auf der Jagd nach günstigen Taschenwelten überall zwischen den Fahrzeugen durchgedrückt hatten, blieben stehen, als wären sie gegen eine Wand gerannt, und verdrehten die Köpfe. Die Träumer blieben ungerührt.
Dann brüllte Ramon: »Konvoi: Wir liegen unter Feuer! Volle Fahrt voraus!«
Noch bevor Ramon den Befehl ausgesprochen hatte, kamen die nächsten Explosionen. Shopper fielen um, kippten einfach weg, als hätte jemand einen Aus-Schalter gedrückt. Manche blieben reglos liegen, andere wälzten sich auf dem Boden, verschmierten mit ihrem Blut den Asphalt. Lautlos, als könnten sie nicht begreifen, was mit ihnen geschah. Träumer schrien mit sich überschlagenden Stimmen, als Granatsplitter und brennendes Phosphor sie aus ihren imaginären Welten rissen.
Eine weitere Salve folgte. Ein Geschoss traf Rudis Laster. Rudi wurde zur Seite gerissen. Qualm drang in die Kabine. Es roch scharf, nach Pulver und Rauch. Und da war noch etwas. Als grille jemand Fleisch.
Ramon bemerkte Rudis entsetzten Blick und schüttelte den Kopf. »Das sind nicht wir. Eure Alien-Panzerung hält!«
Er drückte das Gaspedal herunter. Der Laster fuhr mit einem Ruck an. Er war noch heftiger als der, den der Einschlag der Granate verursacht hatte. Der Personenwagen, der vor ihnen stand, wurde nach vorn und zur Seite geschoben. Einen Augenblick lang blickte Rudi in die weit aufgerissenen Augen von Kindern, die sich auf die Rückbank quetschten. Dann rammte der Laster den nächsten Wagen - und den folgenden.
Wie ein Pflug arbeitete er sich durch den Stau, gewann an Geschwindigkeit und Wucht. Ramon hielt den Fuß weiter auf dem Gaspedal, auch dann noch, als der Laster die Brücke erreichte und seine Geschwindigkeit so hoch war, dass er über die Personenwagen fuhr.
»Ramon!«, brüllte Rudi. »Was tust du? Du bringst die Leute um!«
Ramon zuckte die Achseln. »Was erwartest du von mir? Wenn wir anhalten, sind wir tot. Eure Alien-Panzerung wird nicht ewig halten.« Der Laster rutschte in einer Lücke im Verkehr auf den Asphalt, rammte in die nächste Autoschlange und schob sie zur Seite, durch das Geländer. Eine Handvoll Autos stürzte in den Fluss. »Es ist ganz einfach: sie oder wir.«
»Aber das können wir nicht tun!«
»Wir müssen. Hier, sieh dir das an!« Ramon knallte mit der Rechten auf den
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