Alien Earth - Phase 3
wieder, in seinem Körper. Er hustete, rang nach Luft.
»Wilbur!« Der Junge brüllte ihm ins Ohr, hielt ihn mit beiden Händen umfasst. Es war ein beinahe zärtlicher Griff. Wilbur hielt sich daran fest, nutzte ihn, um ganz in seinen Körper zurückzukehren.
»Wilbur! Was ist los mit dir? Sag doch etwas!«
»A… alles in Ordnung, Junge.«
»Du bist plötzlich rot angelaufen und hast keine Luft mehr bekommen! Was ist passiert?«
»Ich …« Sollte er dem Jungen von der Frau erzählen? Nein, entschied er, er würde ihn für verrückt halten. »Ich war lange weg. Mein Körper muss vergessen haben, dass ich noch lebe.«
»Hast du die Raketen gefunden?«
»Ja.«
»Das heißt, wir …?«
»Ja.«
»Wann tust du es?«
»Jetzt. Wir haben keine Zeit zu verlieren.«
Wilbur atmete tief ein, blickte ein letztes Mal zur Erde. Wie oft hatte er sich von ihr weggewünscht. Weit weg von jedem Menschen. Wie oft hatte er es sich ausgemalt, nicht immer
nur einzustecken. Nicht immer nur herunterzuschlucken, sich zu ducken und zu fügen. Wie oft hatte er sich ausgemalt, wie es sich anfühlen würde, es der Welt heimzuzahlen.
Jetzt war es so weit. Er war im Begriff, die Erde jenseits jeder Vorstellung zu verwüsten - um zu retten, was zu retten war.
Und er fühlte … nichts. Wilbur wollte keine Genugtuung. Er wollte es einfach nur hinter sich bringen. Er streckte erneut seinen digitalen Finger aus, doch dieses Mal griff er nicht in ein Netz der Menschen, sondern eines der Seelenspringer. Seine Hände suchten und fanden über 60 000 Patronenschiffe, dazu gebaut, die Erde vor den Angriffen der Seelenbewahrer zu schützen. 11 000 von ihnen wählte er aus, brachte sie auf Kurs. Es fiel ihm nicht schwerer, als es einem Kind fällt, Murmeln zu werfen. Wilburs Wille war stark.
Er kehrte wieder in seinen Körper zurück.
»Du hast es getan?«, fragte der Junge.
»Ja.«
Gemeinsam verfolgten sie, wie die Triebwerke von 11 000 Patronenschiffen zündeten und sie Fahrt aufnahmen. Wilbur erinnerten sie an einen Schwarm Glühwürmchen. Weiter beschleunigend, tauchten sie in die Erdatmosphäre ein. Die Reibungshitze brachte sie zum Aufglühen, und rote Glut verschluckte die gelben Punkte der Triebwerke. Ihre blendenden Bahnen legten sich wie ein gnädiger Vorhang vor den geschändeten, von dunklen Wolken entstellten Planeten.
Die Schönheit des Anblicks traf Wilbur. Darauf war er nicht vorbereitet gewesen.
Die Bahnen der Patronenschiffe leuchteten greller, als sie dem Planeten entgegenstürzten, sich die Reibungshitze der zunehmend dichter werdenden Atmosphäre in ihre Rümpfe fraß. Die Schiffe würden der Belastung nicht lange standhalten. Aber das mussten sie auch nicht. Lichter erloschen schlagartig, als die ersten Patronenschiffe ihre Ziele erreichten. Sie bohrten sich in die Erde, tiefer als jeder Raketenbunker reichte, und löschten mit jedem Einschlag einen weiteren
Teil des atomaren Potenzials der Menschheit aus. Hässliche schwarze Wolken stiegen an den Einschlagspunkten auf, als die Wucht des Aufpralls tiefe Krater in die Erdkruste riss, und Erde und Gestein, pulverisierte Raketen und Menschen kilometerhoch in den Himmel geschleudert wurden.
Wilbur widerstand dem Drang, den Blick abzuwenden. Er wollte sehen, was geschah. Er wusste, dass ihn dieser Anblick für den Rest seines Lebens nicht mehr loslassen würde. Doch die Vorstellung, sich im wichtigsten Augenblick seines Lebens als Feigling zu erweisen und vor dem die Augen zu verschlie ßen, was er angerichtet hatte, fürchtete er noch mehr.
Er hatte getan, was getan werden musste. Millionen würden sterben, aber es war der einzige Weg, der Menschheit eine Chance zum Überleben zu geben.
Pasong hatte dafür gesorgt, dass Wilbur die Türen zum atomaren Potenzial verschlossen blieben.
Der Alien musste damit gerechnet haben, dass Wilbur alles daran setzen würde, die Türen zu öffnen, vielleicht sogar einzutreten. Aber Wilbur hatte sich nicht mit Nebensächlichkeiten aufgehalten. Wieso versuchen, eine Tür zu öffnen, wenn es in der eigenen Macht liegt, das ganze Haus zu pulverisieren?
Und das tat Wilbur.
Eines nach dem anderen löschten die Patronenschiffe ihre Ziele aus. Weitere Teile Nordamerikas verschwanden unter einem Teppich aus Rauch und Staub. Dunkle Wolken zeichneten eine gepunktete Linie über den Globus, die dem Verlauf der amerikanisch-arabischen Arterie folgte. Die Sahara wurde von Rauch verschlungen, gefolgt von der saudischen Wüste, dem Zweistromland
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