Alison Wonderland
Ist doch besser, als sie zu behalten und dann zu vernachlässigen. Sie lassen sie dort, wo sie gefunden werden. Sie wollen sie retten.«
»Es gibt noch ein anderes Wort. Die Leute nannten sie früher Findelkinder, stimmt’s? Das ist besser.«
»Ja, das ist besser.«
Es langweilt uns, die Klinik zu beobachten. Der Pier ist genau auf der anderen Straßenseite, also schlendern wir hinüber, um irgendetwas zu Mittag zu essen. Im Gehen lassen wir Pennys auf den niedrigen Mauern, an denen wir vorbeikommen, liegen, damit jeder, der kleiner ist oder sich herunterbeugt wie Kinder, alte Leute und Leute im Rollstuhl, sie findet und einsammelt, um Glück zu bekommen.
Taron hat mich für ihr Langzeitprojekt zur Weltverbesserung begeistert.
»Warum sind Menschen so grausam zu ihren Kindern?«, fragt mich Taron auf einmal.
»Ich weiß es nicht.«
»Ich war mal auf dem Pier in Brighton und eine Frau schob ihr Kind in einem Kinderwagen dort entlang. Es gibt da einen Pfad, auf dem man gehen kann, der aus Holzplanken gemacht ist, die längs über dem Holzboden liegen, aber sie ging neben dem Pfad, da, wo man das Meer durch die Lücken im Boden sehen kann. Das Kind schaute nach unten und schrie vor Entsetzen, weil es das Meer unter sich sehen konnte. Die Frau sagte nur immer wieder: ›Halt den Mund. Halt den Mund, halt den Mund.‹«
»Ich weiß.«
»Warum konnte sie nicht einfach auf dem Pfad laufen oder dem Kind sagen, dass es in Sicherheit ist und sie nicht ins Meer fallen würden? Sie sagte aber immer nur ›Halt den Mund‹.«
»Ich weiß es nicht.«
Wir holen uns Pommes frites in einem Café auf dem Pier, die Tische mit blauen und weißen abwischbaren Plastiktischdecken gedeckt. Das erinnert mich an eine Geschichte, die ich ihr erzählen kann, um ihre Stimmung aufzuheitern.
»Ich war mal vor Jahren an einem Ort wie diesem, mit einer Freundin, die Feministin war und den Streik der Minenarbeiter unterstützte; und sagte, dass alle Männer Vergewaltiger seien; die Flüche in ihre Unterhaltung einstreute und schulmeisterlich war; die Aufmerksamkeit auf sich zog und dann sagte ›Lass sie doch gucken.‹ Ich nahm den Zuckerstreuer anstelle des Salzes und bestreutemeine Pommes aus Versehen mit Zucker. Meine Freundin ließ mich die Zucker-Pommes essen, weil sie sich dafür schämte, dass ich nicht den Unterschied zwischen Salz und Zucker erkennen konnte. Sie wollte nicht, dass ich mir eine neue Portion Pommes bestellte, weil die Leute in dem Café denken könnten, ich sei Mittelklasse und es mangele mir an Glaubwürdigkeit.«
Taron schaut mich kaum an, während wir unsere Pommes essen. Sie ist in Gedanken bei dem verschreckten Kind in Brighton.
Als wir in gedrückter Stimmung am Pier entlang zurückschlendern, kommen wir an einem Zigeunerwohnwagen mit einem Wahrsagerschild außen dran vorbei. Taron nimmt meine Hand und zieht mich hinter sich hinein.
Wir sitzen Hintern an Hintern auf einem Stuhl vor einer freundlich aussehenden Frau mit halblangen, blonden Haaren und Raucherzähnen.
»Ist das für euch beide?«, fragt sie. »Das kostet extra.«
»Wir sind auf der Suche nach etwas«, sagt Taron. »Wir müssen wissen, ob wir es finden werden. Wir müssen wissen, wo wir suchen sollen.«
Ich hole Notizblock und Bleistift heraus. »Sind Sie von der Presse?«, fragt sie scharf.
»Nein.« Insgeheim fühle ich mich geschmeichelt. Ich wollte immer Journalistin werden, weil ich in der Schule gut in Englisch war, aber die Lehrer meinten, ich sei nicht aufdringlich genug. Manchmal denke ich, ich hätte auf meinem Wunsch beharren sollen, denn ich hätte diesen Lebensstil genossen. Wie auch immer, um die Zigeunerin zu beruhigen, lasse ich meine Hände für den Rest des Gesprächs zusammengefaltet in meinem Schoß, so als würde ich ganz brav für ein Schulfoto posieren.
»Du bist sehr spirituell«, sagt sie zu Taron. »Nimm dir jeden Tag etwas Zeit, visualisiere das, was du dir wünschst und es wird Wirklichkeit werden. Du hast die Macht dazu.«
Das Innere des Wohnwagens ist klein und gemütlich, erwartungsgemäß dekoriert mit Spitzengardinen und bemaltem, blumigem Oma-Nippes. Es gibt Bilder von ihr mit Prominenten, diesich während der Sommersaison eine Auszeit vom Theater- oder Pantomime-Spielen im örtlichen Theater genommen haben, um sie zu konsultieren.
»Werden wir hier finden, wonach wir suchen?«, fragt Taron.
»Ja.«
»Tatsächlich?« Ich bin überrascht von dieser direkten Antwort.
»Du hast viel Wut in dir«, sagt
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