Alix ... : Historischer Roman (German Edition)
Augen, vermeinte sie gar zu spüren, wie der Bucklige nach ihrem Bein griff …
Irgendwann verlor sie das Zeitgefühl, träumte schreckliche Dinge und betastete ängstlich - als sie einmal hochfuhr, weil sie sich eingebildet hatte, jemand stünde vor ihrem Bett - den goldenen Anhänger, das Schicksalsrad, das zwischen ihren Brüsten hing.
Endlich verstand sie, weshalb ihr der Vater das wertvolle Schmuckstück kurz vor seinem Tod geschenkt hatte. Er musste geahnt haben, dass ihr eine große Umwälzung bevorstand.
„Niemand auf Erden kann seinem Schicksal entgehen“, waren seine Worte gewesen, und seine warmen dunklen Augen hatten sie so eindringlich angesehen, als ob er ihr eigentlich etwas anderes hätte sagen wollen, „auch du nicht, Alix. Merke dir eines gut: Das Glück liegt in der Mitte!“
6.
Doña Agnès war in heller Aufregung. Ausgerechnet am Vorabend von St. Dionysius hatte ihr ein Bote die bevorstehende Ankunft des Vizegrafen Trencavel gemeldet. Der Zeitpunkt konnte nur als ein böses Omen betrachtet werden, rief man den Heiligen Dionysius doch für gewöhnlich bei Gewissenspein und Seelennot an. Der Trencavel musste Tag und Nacht geritten sein, anders war sein vorzeitiges Erscheinen nicht zu erklären. Jetzt, wo Bartomeu nicht mehr als Ratgeber an ihrer Seite stand, war der Herrin von Montpellier recht mulmig zumute. Augenblicklich wies sie ihre Mägde an, das Silber zu putzen und alles für einen würdigen Empfang herzurichten.
In der Nacht vor der Ankunft des Trencavels tat sie kein Auge zu; ihre Zweifel, das Richtige veranlasst zu haben, indem sie Alix dem Bischof überantwortete, statt den von Wilhelm unterzeichneten Kontrakt mit Carcassonne einzuhalten, waren gewachsen.
Natürlich war Inés leichter zu beeinflussen als die widerspenstige Alix, da hatte Bartomeu wohl recht, aber schließlich saß längst einer seiner Gewährsleute in Carcassonne, der ihn über alle ketzerischen Umtriebe unterrichtete. Was hoffte er eigentlich, von Inés zu erfahren? Höchstwahrscheinlich nichts, es war ihm nur um Alix gegangen, um Alix!
Sei`s drum, dachte sich Doña Agnès, als der Tag heraufdämmerte und sie sich noch immer auf ihrem Lager hin und her wälzte, ich darf mir vor allem Bartomeu nicht zum Feind machen! Wer weiß, wie es hier in Montpellier weiterging, mit diesen eigenwilligen Konsuln, die ihren Plan, sie doch noch abzusetzen, einfach nicht aufgeben wollten … Und wenn sich Inés dem Trencavel von ihrer besten Seite zeigte, dann stand der geplanten Hochzeit nichts im Wege.
Nach Nicolas` Überzeugung war das ketzerische Carcassonne nach wie vor an einer Verbindung mit dem katholischen Montpellier interessiert, schon um Rom gegenüber das Gesicht zu wahren. Dieser Bund würde im Gegenzug ihr - Agnès` - Ansehen in Montpellier stärken, denn der Trencavel zählte zu den einflussreichsten Fürsten im Lande. Und vielleicht konnte sie es doch noch so einrichten, dass statt der ewig heulenden Marie im Frühjahr Alix in der Nähe des Königs von Aragón saß.
Ein kalter, böiger Cers - wie die Menschen in Okzitanien den Nordwind nannten - fegte über Montpellier hinweg, so dass die Fahnen, die zum Empfang des Trencavels aufgezogen waren, mächtig knatterten. In verstaubter Kleidung und mit vor Kälte roten Wangen, traf der Vizegraf von Carcassonne mit einigen Rittern und Knappen am späten Nachmittag im Turm zu Montpellier ein.
Bereits bei der Begrüßung war ihm der wenig herzliche, aber dafür liebedienerische Empfang aufgefallen, und selbst noch am Abend, als sie gemeinsam an der reich gedeckten Tafel saßen, herrschte eine derart gezwungene Stimmung, dass er am liebsten weitergeritten wäre.
Offenbar aufs Äußerste bemüht, dem Vizegrafen zu gefallen, legte ihm Doña Agnès nicht nur die besten Leckerbissen vor, sondern sie redete ihm auch nach dem Mund.
Ihr Früchtchen Wilhelm hingegen gebärdete sich wie ein Pfau, während sie tafelten, und erinnerte Raymond-Roger mit seinem Verhalten an den Auftritt Villaines, als dieser mit seinem Stelzschritt den König von Frankreich nachgeahmt hatte. Die Vorstellung des Spielmanns war köstlich gewesen, alle hatten sich auf die Schenkel geklopft vor Vergnügen, über den dicken Wilhelm jedoch konnte man höchstens weinen.
Der Höhepunkt seines auffälligen Gebarens war beim Servieren des Hypocras erreicht, als er die Diener voller Unmut anschrie, dass der Würzwein sauer und ungenießbar sei, was nicht stimmte. Kurz darauf - und das erstaunte nun
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