Alix ... : Historischer Roman (German Edition)
wahrhaftig Gäste und Gastgeber gleichermaßen - bestellte er sich eine große Schüssel mit Grünzeug und verfiel, nachdem er sie leergegessen hatte, in stumpfsinniges Schweigen. Blicklos starrte er auf die Wand, während in seinem Mundwinkel ein Rapunzelblatt klebte.
Der Trencavel befand für sich, dass der junge Wilhelm nicht nur geistig nicht ganz gesund war - was ihm Sorge bereitete, schließlich wollte er dessen Schwester ehelichen -, sondern dass er nie in der Lage sein würde, über Montpellier zu herrschen.
„Ihr habt recht, Doña Agnès“, sagte er zu der alternden Frau, um das Gespräch nicht völlig einschlafen zu lassen, und nachdem er gemerkt hatte, dass auch sie sich um ihren Sohn sorgte, „die Lage in Okzitanien ist nicht so beschaffen, als dass der französische Adel neidisch auf uns sein müsste.“ Gerne hätte ihr der Trencavel klargemacht, dass einer der Gründe für die momentane Unzufriedenheit des Kleinadels am Zehent lag, den die Kirche so rigoros einforderte, wohl wissend, dass die Ländereien und das Vermögen vieler Ritter aufgrund von Erbteilungen nur so dahinschmolzen. Der Adel blutete aus, während die römische Kirche immer reicher wurde. Doch in Wilhelms „katholischem Turm“ über die katharische Kirche zu reden, die diese Abgaben nicht forderte, hieße Öl aufs Feuer zu gießen … Der Trencavel schielte auf das goldene Kruzifix, das Doña Agnès auffällig deutlich vor seiner Nase hatte platzieren lassen. Es war über und über mit Edelsteinen geschmückt. Eines ließ sich nicht leugnen: Zumindest Montpellier war nach wie vor reich und katholisch!
Inés ahnte nichts von den „ketzerischen“ Gedanken ihres zukünftigen Bräutigams, obwohl auch sie sich gewundert hatte, dass das Kruzifix, das sonst in der Kapelle stand, an diesem Abend die Festtafel schmückte. Stolz darauf, ihr schönstes Gewand tragen zu dürfen - ein schimmerndes hellblaues Überkleid mit langen, schmalen Ärmeln, die fast die ganzen Hände bedeckten - ließ sie kein Auge von Raymond-Roger. Er gefiel ihr sehr. Sein Aussehen übertraf den Schattenriss bei Weitem. Das schwarze Samtwams, das er trug, stand in Kontrast zu seinem weizenblonden Haar. Sein Gesicht war ebenmäßig, die Nase gerade und die tiefblauen, von langen dunklen Wimpern überschatteten Augen blitzten vor Klugheit und Humor.
Doch wie sehr sich Inés auch bemühte, beim Tischgespräch fielen ihr immer erst dann eine lustige Begebenheit oder geistreiche Formulierung ein, wenn das Thema bereits vorüber war, oder Wilhelm das Wort an sich riss ...
Der Bruder bekümmerte sie heute. Was war nur mit ihm los? Noch immer stierte er auf die Wand. So schlecht hatte er sich doch noch nie benommen! Was, wenn der Trencavel seinetwegen die Hochzeit absagte? Aber auch Pater Nicolas` Verhalten machte Inés Sorgen!
Beim Servieren des Blanc-magers, einer edlen Festtagsspeise aus fein gehacktem Hühnerfleisch in dicker, weißer Mandelsoße, die der Koch Petrus mit roten und schwarzen Beeren so kunstvoll besteckt hatte, dass man die Schwarze Madonna von den Tischen mitsamt ihrem Kind erkennen konnte, war es beinahe zu einem Streit gekommen.
Der Pater war aufgestanden, um ein Gebet zu sprechen, bevor die Speise aufgeteilt wurde.
Als er sich wieder setzte, raunte er Doña Agnès zu, dass man am Hof von Montpellier auch zukünftig keine Ketzer dulden oder schützen würde, wie dies andernorts geschehe.
Dem Trencavel und seinen Rittern, die jedes Wort verstanden hatten, war das Missfallen deutlich anzusehen gewesen, und Inés, die die Einfühlsamkeit ihres Vaters geerbt hatte und mitunter wegen eines härteren Wortes stundenlang weinen musste, errötete tief und bekam Schluckauf, noch bevor sie überhaupt von der Speise gekostet hatte.
Als Nicolas erneut die Glaubensfestigkeit seines verstorbenen Herrn lobte und von einem Legaten namens Gui erzählte, den Wilhelm vor Jahren zur Bekämpfung der Häresie eingeladen hätte, schnellte die Hand des Trencavels hoch.
Mit sachtem Spott wies er darauf hin, dass die Einladung des päpstlichen Legaten doch wohl nicht ohne Eigennutz gewesen sei, schließlich habe Wilhelm gehofft, die Legitimität seiner Kinder aus zweiter Ehe anerkannt zu erhalten.
„Verhielt es sich nicht so?“, fragte er Doña Agnès.
Nun hatte ihrerseits die Herrin von Montpellier allergrößte Mühe, sich zu beherrschen. Sie funkelte ihren Priester böse an, flüchtete sich dann aber ebenfalls in die Ironie. „Ach“, meinte sie und
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