Alix ... : Historischer Roman (German Edition)
Wir jagen sie wie Vögel aus dem Hirsefeld davon!“
„Lasst sie doch ihre Hälse an unseren Mauern brechen“, kreischte eine Frau und ein junger Kerl schlug vor, auf sie hinunterzupissen und sie damit zu verscheuchen. Sofort sprangen etliche der Jüngeren auf und drängten zur Kirche hinaus. Aber es gab auch Leute, die murrten und davor warnten, die Kreuzfahrer herauszufordern.
„Da lassen wir uns doch lieber im Meer ertränken“, gellte den Zauderern eine Frauenstimme entgegen, „als dass wir die Häretiker in unserer Stadt an die Franzosen ausliefern. Rechtgläubig oder nicht, wir sind alle Christen und Brüder und wenn, dann werden wir gemeinsam sterben!“
„Hab keine Angst, Esther, wir sind hier vorerst sicher“, tröstete Alix nun ihre Freundin, die erschrocken zusammengefahren war. „Und schon morgen vielleicht ...“
Plötzlich fiel ihr Blick auf Villaine.
Er stand beim Eingang und gab ihr ein Zeichen.
19.
„Ich sehe zwar so tief in einen Mühlstein wie alle anderen auch“, meinte der Spielmann, als sie auf einem leergefegten Platz beim Brunnen standen, „doch meine Nase sagt mir, dass Gefahr im Verzug ist. Schaut hinauf zu den Wehrgängen und Zinnen! Ich bin beunruhigt.“
Alix und Esther drehten sich um. Unzählige dunkle Schemen, gespannte Bogen ... Das war vor der Messe nicht der Fall gewesen. Irgendetwas musste in der Zwischenzeit geschehen sein.
„Wirklich merkwürdig“, meinte Alix bestürzt. „Was sollen wir tun, Villaine? Was schlagt Ihr vor?“
„Kehrt mit Esther ins Schloss zurück, versucht, dort etwas herauszubekommen. Dann zieht die Reisekleidung an und packt Eure Sachen zusammen, nur das Notwendigste, einen Beutel für jeden. In der Zwischenzeit bringen wir die Pferde ans andere Ende der Stadt, und zwar in die Nähe des Tores, das uns auf die Straße nach Narbonne führt. Wir verstecken die Pferde oder stellen sie gegen Bezahlung irgendwo unter.“
„Aber wir brauchen noch die Bestätigungen für unsere Rechtgläubigkeit“, warf Alix ein. „Lamothe hat sie mir für heute Abend zugesagt. Früher können wir nicht aus der Stadt!“
„Wenn sie uns überhaupt rauslassen“, wagte Esther einzuwenden. „Du hast es doch gehört. Sie wollen niemanden ausliefern, also bleiben die Tore zu.“
„Toe zu, Toe zu“, brabbelte der Bossu.
„Stimmt“, sagte Villaine. „Was das Volk will, schert für gewöhnlich die Obrigkeit nicht. Aber warten wir es ab. Lasst uns zur Mittagszeit wieder zusammenfinden, am besten hier am Brunnen. Vielleicht wissen wir dann mehr. Haltet die Augen offen und seid auf der Hut!“
Um die sechste Stunde jedoch warteten Alix und Esther am Brunnen vergeblich auf die Spielleute. Über der Stadt lag eine einschläfernde Hitze und auch noch immer diese fast unerträglich knisternde Spannung - so als zöge ein Gewitter auf.
Verbarrikadierte Ladenfenster, verlassene Gassen, in denen einzig ein verrückter Wind mit dem trockenen Stroh spielte, das sich hinter den Ecksteinen verfangen hatte. Er wirbelte die Halme in die Luft, trieb sie voller Mutwillen an, ließ sie wie Kreisel drehen und unvermittelt fallen.
Noch immer regungslos, wie die hölzernen Ritter ihres Bruders Wilhelm, so hatte Alix den Eindruck, standen die Soldaten auf den Wehrgängen, lauernd, dicht an dicht.
Irgendwo schrie jemand: „Lieber fressen wir unsere eigenen Kinder, als euch in die Stadt zu lassen!“ Die Antwort von draußen war nicht zu verstehen.
Im Schloss hatten sie in Erfahrung gebracht, dass es am Vormittag einen üblen Zwischenfall gegeben hatte. Jener, der in der Kathedrale lautstark damit geprahlt hatte, auf die Kreuzfahrer „hinunterpissen“ zu wollen, war bei der Ausübung seines unbedachten Plans durch Pfeile ums Leben gekommen. Es hatte aber auch geheißen, dass sich Bischof Rainald erneut zu Verhandlungen ins Lager der Kreuzfahrer begeben hätte, begleitet von einer Handvoll angesehener Katholiken. Die meisten Priester jedoch, den Hofkaplan und sämtliche Klosterinsassen, hätte er in in Béziers zurückgelassen. Ein Beweis für die gegenwärtige Sicherheit der Stadt, hatte Lamothes Stellvertreter gemeint.
Während die beiden Frauen ungeduldig nach Villaine Ausschau hielten, vernahmen sie plötzlich lautes Geschrei. Drei Burschen liefen oben, auf der breiten Straße, die zum Schloss führte, vorüber. „Versteckt euch, sie sind hier!“, riefen sie ihnen zu.
Alix und Esther sahen sich erschrocken an. Weitere Leute kamen angelaufen: „Die Franzosen sind
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