Alix ... : Historischer Roman (German Edition)
zweihundert Perfekte? Denn es geht um solche , nicht um einfache Anhänger der katharischen Kirche! Tut nicht so, als ob Ihr den Unterschied nicht kenntet. Aber mögen es auch nur zwölf sein, was gibt Euch die Sicherheit, dass die Bürger unserer Stadt auch nur einen von ihnen ausliefern werden?“
„Sachte, sachte“, der Bischof versuchte Lamothe zu beschwichtigen. „Man hat mir gesagt, im anderen Fall nähme die Stadt in Kauf, mit allen Menschen zu Grunde zu gehen. Wollt Ihr das?“
„Ja, ist Rom des Wahnsinns?“
Alix war fassungslos und zog sich zurück, weil der Bischof sie beinahe erwischt hätte. Sie setzte sich wieder. In ihrem Kopf überschlug sich alles. Sie hörte, wie der Geistliche hüstelte.
„Ich wage nicht auszusprechen, wie mir zumute ist“, sagte er, „doch um der Unschuldigen willen müssen wir tun, was sie verlangen! Im anderen Fall werden sie ...“
„Wir müssen gar nichts!“, unterbrach ihn Lamothe barsch. „Die Führer des Kreuzzugs haben uns keine Anweisungen zu erteilen, und Ihr als Erster Bischof unserer Stadt solltet getreu auf unserer Seite stehen.“
Erneut herrschte Schweigen in der Kanzlei.
„Ich werde das Ultimatum verlesen, morgen nach der Messe“, erwiderte Rainald müde, dann verabschiedete er sich.
So freundlich der Lehnsvogt kurze Zeit darauf zu ihr war - Alix` flehentliche Bitte verfing bei ihm nicht.
„Es stimmt, es wurde mir aufgetragen, Euch behilflich zu sein“, sagte er, „doch ich kann Euch nicht aus der Stadt lassen. Die Tore bleiben geschlossen, ich bin nämlich auch für Eure Sicherheit verantwortlich. Als Schwägerin des Vizegrafen könnte man Euch festsetzen und als Geisel benutzen.“
Auf Alix` erschrockenes Gesicht hin, lenkte er ein, bat sie jedoch, sich noch einen oder zwei Tage zu gedulden, bis dorthin wisse er mehr. Eine Bescheinigung über ihre Rechtgläubigkeit und über die ihrer Begleiter, wolle er aber noch heute erwirken.
„Mehr kann ich im Augenblick nicht für Euch tun“, sagte er.
Laut dröhnten die Glocken der hochgelegenen Kathedrale Saint-Nazaire - demselben Heiligen gewidmet wie die Kathedrale von Carcassonne -, als sich Alix und Esther am nächsten Morgen dort einfanden.
Der heutige Magdalenentag würde die Entscheidung bringen, ob sie Béziers verlassen durften oder nicht. Alix saß wie auf heißen Kohlen. Jetzt, wo sie endlich den Ort kannte, an dem sich Damian aufhielt, durfte sie nicht zu ihm!
Als Bischof Rainald auf die Kanzel stieg, um das angekündigte Ultimatum zu verlesen, wurde es schlagartig still im überfüllten Gotteshaus.
„Mitbrüder“, hub der Geistliche zu sprechen an, „ich bitte euch, den Kreuzfahrern die Stadttore zu öffnen! Tut, was sie verlangen, und euch erwarten nur geringe Strafen. Wenn nicht, wird nicht einer am Leben bleiben, um hinterher die Leichen zu zählen!“
Er hatte langsam gesprochen, deutlich und mit großer Eindringlichkeit. Jeder Mann, jede Frau, jedes Kind hatten seine Worte vernommen - doch es dauerte eine Weile, bis allen die Bedeutung klar wurde. Fast beschwörend rief ihnen daher der Bischof noch einmal zu: „Brüder und Schwestern, unterwerft euch!“
Plötzlich ging es los. Alles brüllte durcheinander. Fäuste wurden gereckt, Kinder plärrten, Hunde bellten. Vor Schreck fiel Rainald das Ultimatum aus der Hand. Wie ein müdes Lindenblatt im Herbst taumelte es von der Kanzel herab.
Ein hagerer Mann, gekleidet wie ein Knecht, sprang hinzu und hob es auf. Doch statt es dem Bischof zurückzugeben, betrachtete er es von vorne und hinten, zuckte die Achseln, reichte es weiter. Das Schreiben durchlief zwei lange Reihen, bis sich endlich jemand fand, der lesen konnte.
„Tatsächlich! Zweihundertzweiundzwanzig Namen wollen sie von uns haben!“, rief dieser. „Niemals! Das werden wir verhindern!“
Als Alix das hörte, sank ihr der Mut. Esther fasste nach ihrer Hand, beruhigte sie.
Der Mann drängte vor den Altar. Er scheuchte die Mönche beiseite, kletterte auf deren Bank.
„Hört alle her!“, rief er und schwenkte das Pergament. Stockend, aber mit lauter Stimme verlas er das Ultimatum noch einmal in ganzer Länge, während Bischof Rainald auf seiner Kanzel mit den Händen die Luft durchschnitt, in der Hoffnung, sich wieder Gehör zu verschaffen. Erneut brach ein Sturm der Entrüstung los.
„Die gemeinen Räuber sollen leer ausgehen!“, schrie einer über Alix` und Esthers Köpfe hinweg. „Glauben die Franzosen vielleicht, wir haben Angst vor ihnen? Bah!
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