Alix ... : Historischer Roman (German Edition)
Carcassonne braucht dich jetzt! Und Inés und dein Sohn!“
Ach, Alix ... Da war auch wieder jene andere Angst in ihren dunklen Augen gestanden. Die Angst, sich zu verlieren. Selbst in Pamiers, in Esclarmondes Haus, hatte er sie gesehen. So nah und zugleich so unerreichbar war seine Alix. Sonderbar, dass er immer, wenn er sich den Kopf über ihr Wesen zerbrach, zu demselben Ergebnis kam: Sie erinnerte ihn an jemanden oder an etwas ... An ein Leben vor diesem, das er mit ihr verbracht hatte? Oder an seine stolze Mutter?
Raymond-Roger zügelte sein Ross. Er seufzte leise. Wie hieß es in einem cobla ?
Ich hab ein Lieb und kenn`s doch nicht ...
„Geht dir dasselbe wie mir im Kopf herum, Raymond?“, sprach ihn Jordan von Cabaret von der Seite an, nachdem sie im Morgengrauen endlich den Felsen von Puichéric erreicht hatten.
„Dass wir lieber in Béziers hätten bleiben sollen? Da stimme ich dir zu.“
„Nein, ich meinte etwas anderes. Lass uns später drüber reden.“
Sie ritten den Berg hinauf und in den Burghof hinein, um eine kurze Rast zu machen, nachdem sie die ganze Nacht hindurch auf den Pferden gesessen waren. Als sie abstiegen, trat der Burgherr an sie heran, um die hohen Gäste zu begrüßen. Puichéric, ein scheuer, wortkarger Mann, schleppte ein Bein nach. Im Burghof, in dem sich jetzt nach und nach die Juden und Katharer in Gruppen versammelten, gurrten die Tauben. Die Juden sprachen im Flüsterton, als ob sie Angst hätten, mit einem lauten Wort das Schicksal herauszufordern. Die Katharer schwiegen.
Während zwei Knechte Krüge mit Wein herumreichten, bot der Trencavel dem Burgherrn an, sich in Carcassonne in Sicherheit zu bringen, doch Puichéric lehnte ab. Er sei alt, sagte er, er bleibe bei seinen Leuten.
Mägde brachten frisches Brot. Irgendwann, als sich alle gestärkt hatten, zupfte Jordan den Vizegrafen beim Ärmel. Mit dem Kopf deutete er zur Pferdetränke hinüber. Sie setzten sich nebeneinander auf den Rand des mit Moos bewachsenen Troges, wobei sie eine Schar Spatzen aufscheuchten. Schimpfend und zeternd flüchteten sich die Vögel in die Heckenrosen, die sich malerisch am kleinen Wohnturm der Burg hochrankten.
„Dreht es sich wieder um die Sache mit dem Erzbischof?“, fragte der Vizegraf leicht gereizt. „Er hat sein Ende verdient, oder etwa nicht?“
„Darüber, dass der Bucklige ihm den Garaus gemacht hat, verliere ich kein Wort“, meinte Jordan von Cabaret, „aber nicht über den Grund, weshalb die Kreuzfahrer tatsächlich hier sind. Sie kamen der drei Tore wegen.“
Der Trencavel wiegte den Kopf. „Jordan, das glaube ich nicht. Kann sein, dass zwei oder drei Prälaten aus persönlicher Leidenschaft hinter diesen Toren her sind, aber im Lager der Kreuzfahrer spricht gewiss jedermann nur von der großen Beute, die man in meinen Schatzkammern vermutet. Mich beunruhigt viel mehr, dass unsere beiden Späher nichts von sich hören lassen. Langsam befürchte ich das Schlimmste.“
„Nun, vermutlich sind sie noch gar nicht in die Nähe der Kreuzzugsführung gelangt. Es war wirklich ein Glücksfall, dass uns die ... Vizegräfin von Rocaberti rechtzeitig warnte. Wir säßen sonst in Béziers in der Falle.“
Jordan räusperte sich. Er war noch immer befangen, wenn er vor dem Trencavel Alix` Namen aussprechen musste. Nicht, dass er sie noch immer liebte … Er war seinerzeit gewissermaßen von den Umständen mitgerissen worden. Doch als er gemerkt hatte, dass sie in ihm nur einen billigen Ersatz für Raymond-Roger sah, hatte er sich nach und nach von ihr zurückgezogen. Alix hatte sich wohl eine Weile eingeredet, glücklich mit ihm zu sein, aber das war ein Trugschluss gewesen. Dennoch hielt er die Jahre mit ihr nicht für vergeudete Zeit, im Gegenteil. Alix stand La Noba in keinster Weise nach, sie glich ihr auch im Wesen und in der Lebensart. Insofern war ihm das größte Glück auf Erden zuteil geworden, wenn er dereinst starb und das Gute und Böse gegeneinander abgewägt wurde: Er hatte zwei Frauen von Herzen geliebt, die schön, klug und begehrenswert waren - und nicht ständig die Fackel der Vernunft ansteckten.
„Dennoch“, fuhr er fort, „ich lasse mir meinen Verdacht nicht ausreden, Raymond-Roger, du selbst hast mir von dem Gespräch mit Esclarmonde von Foix berichtet.“
„Ja, natürlich. Der Erzgauner war hinter dem dritten Tor her, aber ...“
Jordan nickte. „Das entscheidende Tor. Die beiden anderen dienten der Irreführung, wie auch die Warnung vor
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