Alix ... : Historischer Roman (German Edition)
sein. Zum blassblauen Morgenhimmel aufsehend, der silbrig schimmerte, erinnerte er sich an den gleichfarbigen Umhang der Marienstatue in der kleinen Kapelle im Palatium, und an den Tag, an dem ihn der alte Hofkaplan aufgefordert hatte, die Hände zu falten, und zur Muttergottes zu beten. Es war an seinem neunten Geburtstag gewesen ...
„SIE wird stets bei dir sein, mein Sohn“, so die Worte des Kaplans - eine Spitze gegen seine schöne Mutter Adelaïde, die sich Tags zuvor beleidigt auf ihre Burg Burlats zurückgezogen hatte, nachdem feststand, dass ihr verstorbener Mann – sein Vater – andere Vormünder für seinen minderjährigen Sohn bestimmt hatte. Und nun, nachdem er der Jungfrau Maria die ganzen Jahre hindurch – dem Oheim zum Trotz - heimlich die Treue gehalten hatte, ließ diese ihn ebenfalls schmählich im Stich?
Raymond betete, doch seine Worte trösteten ihn nicht. Bei dem Gedanken, dass er allein die Verantwortung für all die Toten – auch für Alix, seine Alix! - trug, weil er der Vizegraf war, drängte es ihn, sich in die Tiefe zu stürzen. Ein halb ersticktes Schluchzen brach aus ihm heraus, als er wie gebannt nach unten starrte. Ja, Béziers war verloren durch die Bosheit des Bösen und durch seine Schuld. Und bald würden sie Carcassonne nehmen. Das war die grausame Wahrheit!
Er hörte Schritte hinter sich. Sein Freund Jordan, das Gesicht versteinert, trat zu ihm, zog ihn sacht beim Arm zurück und reichte ihm den Krug mit Wein.
Kurz darauf ritten sie nach Carcassonne.
22.
Gerade als Villaine Alix die Hand reichte, um ihr aus dem Gebälk herauszuhelfen, tauchte „König Jean“ auf. Ohne Krone kahl wie ein Ei, dafür blutbesudelt und mit scharlachroten Strümpfen angetan, die er vermutlich im Schloss gefunden hatte, klopfte er Villaine auf die Schulter und forderte mit frechen Worten „seinen Anteil“ von der Beute.
„Beim Loch ist die Kuh fett“, stieß der Spielmann erschrocken hervor, „Eure Hoheit aus Paris! Heute ohne Gefolge? Aber träumt ruhig weiter von der Hölle, Euer Gnaden, meine Beute ist gut versteckt, an die kommt keiner ran. Le vin est bon! “
Der Pausbäckige lachte meckernd. „Was willst du nur immer mit deinem ´der Wein ist gut`, du stinkender, dummer Schafhirte! Hast wohl schon genug vom Krieg? Trägst das Kreuz gar nicht mehr und auch nicht deinen bunten Rock?“ Er deutete auf Alix. „So gib mir dein Weib heraus, das sowieso das Meine ist, und wir sind los und ledig! Ei, was hat sie denn in ihrem Beutel?“
Mit einem Ruck riss er den Ledersack an sich, den Alix zuvor Villaine hinabgeworfen hatte. Als er darin Damians hölzernes Schwert entdeckte, wollte er sich vor Lachen fast ausschütten. „Zum Höllenschlot“, japste er - „damit seid ihr maledetti in den Krieg gezogen? Gardez! Gardez !“ Er fuchtelte mit dem Schwert in der Luft herum, „aufgepasst, vita brevis ... Jésus-Christ e los Francos! “
„Mein Schwert schneidet auch, du Angeber!“ Alix sprang vom Brunnenrand. „Jetzt reicht es mir aber endgültig!“, fauchte sie und stürzte hinzu, um Villaine beizustehen, der bereits am Boden lag und mit Jean rang. Obwohl ihr das Blut vor Angst in den Ohren hämmerte, trat sie dem „König von Paris“ mit aller Kraft in sein Hinterteil und in den Rücken und schrie: „Ich kratz dir die Augen aus! Ich beschwere mich beim Führer des Kreuzzugs über dich. Jésus-Christ et los ... Francos! “, wiederholte sie seinen Schlachtruf, wobei ihr um ein Haar Oczitanos herausgerutscht wäre, und trat bei jedem einzelnen Wort Jean in die Flanke. Endlich konnte sie ihm das Schwert ihres Jungen entreißen.
Als sie es in ihren Beutel zurücksteckte, entdeckte sie plötzlich die Waffe, die Villaine an den Brunnen gelehnt hatte. Zu allem entschlossen trat sie an die noch immer heftig miteinander Ringenden heran und hielt die Spitze des Jagdspeeres an Jeans Kehle. Sofort ergab er sich, streckte alle Viere von sich, blinzelte sie ängstlich an.
„ Graĉe, Graĉe “, wimmerte er.
„Gnade? Hach!“ Ausgerechnet dieser Schlächter erbat von ihr Gnade! Alix` Arm begann zu zittern. Doch auch wenn sie an die abgeschlagenen Köpfe dachte, die seinetwegen auf dem Platz herumlagen - sie brachte es nicht fertig, ihn zu töten.
Rasch zog sie Villaine mit sich. „Los, nimm den Spieß und folge mir, mein guter Mann“, rief sie, „auf dass du mir dem Heerführer als Zeuge dienst. Ich will mich noch heute über diesen Jean beschweren!“
Nun kreischte der
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