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Alix ... : Historischer Roman (German Edition)

Alix ... : Historischer Roman (German Edition)

Titel: Alix ... : Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Luise Köppel
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irgendetwas trieb ihn zum Brunnen hin, und er tröstete sich damit, dort wenigstens seinen Durst löschen zu können.
    Als er am Platz ankam, zog es ihm das Herz zusammen. Er hatte schon viel gesehen in seinem Leben, und vor allem heute in dieser Stadt. Die unzähligen abgeschlagenen Köpfe jedoch, die hier herumlagen, erweckten den Eindruck, geradewegs aus dem Himmel gefallen zu sein.
    Ob er sich die Rümpfe der Leichen genauer besah? Wenigstens die weiblichen? Er musste sich Gewissheit verschaffen ... Allerdings wusste er gar nicht, wie das Reisekleid beschaffen war, das Alix hatte anziehen wollen. Die Spielmannskleidung lag irgendwo im Schloss, nachdem ihnen der Trencavel seine Truhen geöffnet hatte ...
    Villaine lief durch die Reihen. Merkwürdig, dass sich unter den Toten auch Priester befanden, die Gewänder blutgetränkt, die goldenen Kreuze abgerissen. Acht Geistliche hatte er bereits gezählt ... Gott wird die Seinen erkennen?
    Am Brunnen blieb er stehen. Wie still es hier war. Bislang hatte er keine Leiche entdeckt, die auch nur entfernte Ähnlichkeit mit Alix oder Esther gehabt hätte. Aufmerksam sah er sich um, lauschte ... Irgendwo wimmerte ein Kind. In der Straße, durch die er am Morgen mit seinen Freunden fortgelaufen war, lagen tote Frauen mit ... hochgeschlagenen Röcken!
    Mare de Deu , wenn sie Alix das angetan hatten, dann würde er auf der Stelle zurücklaufen und diesen bigotten Schwätzer mit dem goldenen Mantel vom Zelter zerren, nebst dem Schwarzen Grafen an seiner Seite - und wenn es ihn den Kopf kostete! Wenn sie tot war, wollte er auch nicht mehr leben.
    Bevor er den schweren Gang antrat, die Frauen drüben in der Straße „Zum Roten Hut“ genauer in Augenschein zu nehmen, ließ er den Kübel in den Brunnen hinab. Seine Kehle brannte ...
    Mit beiden Händen hob er den Eimer ans Gesicht. Da hörte er über sich ein klares „Nein! Trinkt das lieber nicht!“ Erschrocken riss er den Kopf zurück, worauf sich das Wasser aus dem Eimer über seine Brust ergoss.
    Hoch oben im Sparrenwinkel des Brunnendachs hockte, zusammengekauert wie ein Vogel im Sturm, Alix von Rocaberti.

21.

    Aufs Höchste beunruhigt, ritt Raymond-Roger Trencavel an der Spitze seines Zuges nach Carcassonne zurück. Er fühlte sich wie ein Verräter, einer, der die Seinen schmählich im Stich gelassen hatte, auch wenn er gerade eine große Anzahl höchst geachteter und äußerst geschäftstüchtiger Juden und Katharer vor den Kreuzzugshorden in Sicherheit brachte.
    Die Juden von Béziers hatten sich zu Recht in besonderer Gefahr gesehen, nachdem ihnen die Massaker zu Ohren gekommen waren, die andere Kreuzfahrer vor Jahren an den jüdischen Gemeinden am Rhein verübt hatten.
    Aber all die anderen, die er zurückgelassen hatte? Ob genügend Zeit blieb, die Kreuzfahrer mit einem Heer in die Zange zu nehmen, bevor diese Béziers stürmten? Raymond-Roger beschlich ein ungutes Gefühl.
    Die schmerzliche Beklemmung in seiner Brust hing aber auch mit Alix zusammen, die sich geweigert hatte, mit ihm zu kommen. Die Scheltworte, die er sich für sie ausgedacht hatte, als man ihm ihre plötzliche Ankunft meldete, waren vergessen gewesen, als sie vor ihm stand, auch der freche Brief. Er hatte sie nur erleichtert umarmt.
    „Nein, Raymond-Roger“, hatte sie mit fester Stimme gesagt, nachdem er sie wieder und wieder beschwor, noch in der Nacht mit ihm zu fliehen, „ich bin dir noch immer wohlgesonnen, aber ich reite kein zweites Mal mehr an deiner Seite in Carcassonne ein. Vergiss nicht, Inés ist nicht nur deine Frau und die Mutter deines Sohnes, sie ist auch meine Schwester. Ich suche zuerst Damian, dann bringe ich mich und ihn in Carcassonne in Sicherheit!“
    Seine Geliebte, die kerngesund und oft stürmischer als das Meer war, hatte müde und erschöpft ausgesehen - wie damals, nach der Geburt ihres Sohnes. Übernächtigt waren aber auch der treue Villaine und die anderen gewesen, kaum dass er seine Spielleute wiedererkannt hatte. Sie waren durchgeritten, ihn zu warnen … „Versprich mir, mich immer zu lieben, gleich was geschieht!“, hatte er ihr, ungeachtet ihrer Erschöpfung, mit auflodernder Leidenschaft ins Ohr geflüstert, und die zarte Biegung ihres Halses geherzt, aber sie war nicht darauf eingegangen.
    „Reite noch diese Nacht, bring dich in Sicherheit“, hatte sie ihn stattdessen angefleht. „Du kannst dir nicht vorstellen, wie groß die Gier derjenigen ist, die es auf dich und deine Ländereien abgesehen haben!

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