Alix ... : Historischer Roman (German Edition)
seinerzeit der Bossu, legte er sich die Länge nach vor die Schwelle zu ihrer Schlafkammer - allerdings erst, nachdem er gebadet hatte und in die sauberen Kleider geschlüpft war, die man ihm gebracht hatte.
Am frühen Morgen, als sie ihre Bescheinigungen erhalten hatten, ritten sie in Begleitung zweier Soldaten aus der noch immer an vielen Stellen brennenden Stadt. Die Sonne ging gerade erst auf. Das Wasser des Orb rauschte. Die Vögel sangen, als ob nichts geschehen wäre. Kurz bevor sie das Tor passierten, entdeckten sie den Bossu. Er lag mit dem Gesicht im Staub unter einem alten Feigenbaum. Jemand hatte ihm einen Pfeil mitten in seinen Buckel gejagt.
23.
Das Kloster Saint-Polycarpe lag eingebettet in die sanften Hügel der Corbière-Berge.
Sofort fiel Alix das große römische Aquädukt auf, von dem ihnen bereits die Mönche der Abtei der Heiligen Maria von Orbieu erzählt hatten, wo sie aufgrund einer mondverlassenen, stürmischen Nacht eingekehrt waren. Alix hatte kaum geschlafen, was jedoch nicht am Sturm oder am Rauschen des Flusses gelegen war, der unter dem Fenster ihrer Zelle vorüberschoss, sondern weil das Grauen von Béziers zurückkehrt war.
Vor allem der Tod Esthers bedrückte sie sehr. Das launenhafte Rad des Schicksals hatte ihre einzige Freundin und Vertraute abgeworfen, und sie machte sich schwere Vorwürfe, der Bitte ihrer Schwester, die Jüdin doch bei ihr in Carcassonne zu lassen, nicht nachgekommen zu sein. Doppelt grausam empfand sie es, dass ausgerechnet Béziers Esther zum Verhängnis wurde, die Stadt, in die sie eines ungeliebten Bräutigams wegen nicht hatte ziehen wollen.
Im Morgengrauen, als nur noch ein sanfter Wind zum Fenster hereingeschlüpft und der Himmel vom nächtlichen Sturm blankgefegt war, hatten sie die Soldaten, die ihnen Montfort zu ihrem Schutz mitgegeben hatte, zurückgeschickt, und die Abtei von Orbieu verlassen.
Nun waren sie in Saint-Polycarpe angelangt. Ein einsames Kloster, inmitten abgelegener Gehöfte.
Alix` Herz klopfte vor Erwartungsfreude, doch aus Rücksicht auf Villaine zeigte sie ihr Glücksgefühl nicht. Mit seinem furchtbaren Wutausbruch beim Anblick des toten Bossu hatte er ihr seine Seele offenbart: Villaine war treu.
Die alten Sandsteinmauern waren hoch, das Kloster uneinsehbar.
Villaine betätigte den eisernen Türklopfer. Sie lauschten. Doch die einzigen Geräusche, die zu ihnen herausdrangen, waren das entfernte Quaken eines sommermüden Frosches und das Rauschen mächtiger Bäume, in die der Wind fuhr. Sie warteten eine halbe Ewigkeit. Korn an Korn verrann die Sanduhr in ihren Köpfen, während die Sonne auf sie herunterbrannte.
Villaine klopfte erneut und lauter.
Wieder nur Stille. Plötzlich hielt der Spielmann sein Ohr ans Tor.
„Hört Ihr was?“, fragte Alix. „Merkwürdig, dass die Klosterpforte nicht besetzt ist ...“
„Schscht ... ja, ich glaube, da kommt jemand.“
Endlich wurde das kleine, von außen vergitterte Fenster geöffnet.
Ein alter Benediktiner, die Kapuze tief in die Stirn gezogen, steckte seine Nase heraus - und senkte sofort den Blick, als er eine Frau vor sich sah. Ein gehauchtes Pax vobiscum , bevor er mit dünner Stimme nach ihrem Begehr fragte.
Beim Anblick des bleichen Antlitzes, aber vor allem des verschämten Kopfsenkens wegen, befürchtete Alix das Schlimmste für Damian, doch sie verdrängte ihre Bedenken und übergab dem Mönch das Zeugnis des Kreuzzugführers Amaury. „Wir ersuchen um ein Gespräch mit dem Hochwürdigen Abt. Die Sache ist von größter Wichtigkeit!“
„Wartet bitte“, sagte der Mönch höflich. Er zog den Laden wieder zu.
Als er zurückkam, hatte er einen Novizen bei sich, der sich um ihre Pferde kümmerte.
Der Benediktiner führte sie durch einen großen Garten, der das herbaculum von Montpellier, wie Alix überrascht feststellte, in jeder Hinsicht übertraf. Das tiefe Blätterrauschen, das sie vor dem Tor vernommen hatten, kam von einer Vielzahl mächtiger Steineichen, die das Grundstück säumten. Ein Band silbrig-schimmender Ölbäume zog sich an der südlichen Klostermauer entlang, wo Weinrebe über Weinrebe rankte. Mittig wechselten stattliche Zedern und Zypressen mit Maulbeer-, Mandel und Feigenbäumen ab, allesamt kräftig im Wuchs und gut im Behang.
Sie begegneten fünf oder sechs Mönchen in ungefärbten Kutten, die dabei waren, halbhohe buschige Bäume auszulichten. Die Bäume trugen Dornen, denn die Mönche hatten sich dicke lederne Handschuhe
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