Alix ... : Historischer Roman (German Edition)
den kleinen Miquel aus dem Turm, legte den Arm um seine Schultern und sang dabei:
„Gibt es ein Paradies, Geliebte?
Wer einschläft in den Armen der Geliebten,
der hat das Paradies gefunden!
Gibt es ein Paradies, Geliebte;
ein andres als die Liebe?“
Man hätte eine Nähnadel fallen hören können, als er geendet hatte. Villaine stutzte, hob die Brauen … Dann packte er Miquel an der Hand, lief mit dem Freund im eitlen Kranichschritt auf und ab - und wiederholte tapfer dreimal den Refrain.
Doch auch danach lag noch immer bleiernes Schweigen über dem Saal …
Kaum einer wagte es, zum Tisch der Kleriker zu schauen, die bleich und wie erstarrt hinter ihren Weinbechern saßen. Keiner im Saal getraute sich, als erster zu applaudieren oder gar in Hochrufe auszubrechen.
Ein vorsichtiger Blick Villaines hinauf zur Estrade … wo ein stolzer Bräutigam mit zusammengekniffenen Augen seine Gäste beobachtete, während eine verstörte Braut hickste und mit hochrotem Kopf schnell den Becher zum Munde führte.
So wie einer unnatürlichen Stille bekanntlich ein heftiger Sturm folgt, brach im Palatium zu Carcassonne wenige Augenblicke später die Hölle los. Ja, der von Villaine beschworene, bevorzugte Ort für seinen Aufenthalt nach dem Tode schien ob des Schmähliedes seine Tore weit geöffnet zu haben, worauf der Spielmann wie aus allen Wolken fiel, denn mit einer solch harschen Reaktion hatten weder er noch sein Herr gerechnet, mit dem alles heimlich abgesprochen worden war.
„Blasphemie, elende Ketzerei! Teufelspack“, riefen die Bischöfe und Priester wild durcheinander. Sie rafften wütend ihre Gewänder zusammen und stürzten zum Saal hinaus, wobei einer der langen Tische zusammenkrachte, nachdem der Bischof von Lodève mit dem Fuß in der Schrage hängen geblieben und gestürzt war. Becher und Teller waren scheppernd zu Boden gefallen, in tausend Scherben zerbrochen.
Schon eilten, wie aufgescheuchte Hühner, die Diener und Pagen des Trencavels herbei, die Geistlichkeit aufzurichten und die entstandene Unordnung zu beseitigen.
„Was hat man von Carcassonne, diesem Häretikernest, anderes erwarten können!“, schrie der Bischof von Lodève, am Arm des Bischofs von Albi hängend, bevor die beiden als letzte den Saal verließen.
Inés war fassungslos. Wieso hatte Raymond-Roger den frechen Spielmann gewähren lassen? Er hätte ihn davonjagen müssen, mit Schimpf und Schande! Jawohl. Die hohen Geistlichen derart zu beleidigen ... Bald würde es in Carcassonne keinen einzigen Priester mehr geben. Und bei wem sollte sie zukünftig beichten und das Gedächtnismahl feiern?
Sie warf einen unsicheren, fragenden Blick auf ihren Gemahl, der mit düsterer Miene, doch stolz erhobenen Hauptes neben ihr verharrte. Sofort fasste er sie wieder bei der Hand, um sie zu beruhigen. Aber er blieb stumm.
In der Halle kehrte langsam wieder Ruhe ein. Die Scherben waren in die Ecken gekehrt, die Weinlachen aufgewischt. Noch immer sahen viele Gäste betreten zu Boden, unter ihnen die katharischen Bischöfe und ihre Stellvertreter, zu denen sich inzwischen die Vizegräfin Esclarmonde von Foix und Eleonore von Saïssac gesellt hatten, wie um sie vor den anderen zu schützen.
Inés fühlte sich bemüßigt, einen strafenden Blick auf die Spielleute hinunterzuschicken, denn gehörten diese nicht auch zu den Bediensteten? Doch sie traute ihren Augen kaum, als Meister Villaine die Dreistigkeit wagte, ihr zu antworten, indem er ihr zuzwinkerte. Sie hielt den Atem an vor Empörung. Was zu weit ging, ging zu weit! Am besten würde es sein, ihr Gemahl schickte den frechen Kerl fort, noch heute Nacht.
Raymond-Roger sah ständig zur Tür. Wartete er auf die Rückkehr seines Oheims, der als einziger den Bischöfen hinterhergeeilt war? Hoffentlich brachte Saïssac das Kunststück fertig, sich mit der Geistlichkeit zu versöhnen! Inés hörte, wie sich neben ihr der König von Aragón räusperte. So unauffällig wie nur möglich, drehte sie den Kopf zur anderen Seite. Sie wusste von Raymond-Roger, dass der König trotz seines glühenden religiösen Eifers als Troubadour und freigiebiger Beschützer der Dichtkunst galt. Er flüsterte eine Weile mit dem Grafen von Toulouse, der an seiner rechten Seite saß. Der Tolosaner nickte mehrmals.
Dann bemerkte Inés, wie Pedro unruhig seinen silbernen Trinkbecher hin und herschob, bis einer der Diener auf das leise scharrende Geräusch aufmerksam wurde und - ganz erschrocken - nachschenkte. Der König
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