Alix ... : Historischer Roman (German Edition)
aber weiter neugierig und bat ihn, ihr mehr über diesen „scheußlichen Glauben“ zu erzählen. Wenn sie nichts darüber wisse, könne sie sich auch nicht gegen bestimmte Einflüsterungen wehren, so es denn einer bei ihr versuchte.
Das schien Seiner Bischöflichen Gnaden einzuleuchten. Er unterrichtete sie gründlich, sprach von der Leugnung der Wiederauferstehung des Fleisches am Jüngsten Tage und von den merkwürdigen Fabeln, die die Katharer in Umlauf brächten. Irgendwann meinte er, sie müsse aber noch auf andere Häretiker achten, Ketzer, die nach einem gewissen Waldo, einem Bürger von Lyon, „Waldenser“ genannt würden. Diese seien zwar ebenfalls schlecht, aber im Vergleich zu den Katharern bei weitem nicht so verderbt. Ihren Irrtum könne man in nur wenigen Punkten zusammenfassen, meinte er: Im Tragen von Sandalen nach der Art der Apostel; indem, dass sie unter keinen Umständen einen Eid leisteten oder gar töteten, und dass sie behaupteten, jeder von ihnen könne im Notfall, sofern er Sandalen trage, den Leib Christi spenden, ohne vom Bischof zum Priester geweiht sein zu müssen.
„Doch Schluss jetzt mit all diesen unerfreulichen Dingen“, sagte er unvermittelt. Er gähnte ausgiebig und wälzte sich wieder über sie. Zugleich riss er ihre Arme nach oben, um sie festzuhalten. „Die Katharer! Die Waldenser!“, rief er aus. „Blutregen über Cahors! Ich bin noch immer ganz hitzig, ob deiner frechen Rede, Gänslein!“
Dass er kurz darauf erschöpft und mit geschlossenen Augen auf seinem Bett lag und ihr mit immer leiser und undeutlich werdender Stimme zu erklären versuchte, dass der Esel so dumm gar nicht sei, schließlich werde im 22. Kapitel des Buches Numeri von der Eselin Balaam berichtet, die sprechen konnte, nachdem sie einen Engel gesehen hatte, verstärkte Alix` Verdacht, dass ihm Rashid seit einiger Zeit etwas unter den Wein mischte. Sie hätte den Mauren gern danach gefragt, aber sie wusste, dass sie nur auf eisiges Schweigen stoßen würde.
Sie wartete geduldig, bis die Atemzüge des Erzbischofs regelmäßiger wurden, dann stand sie auf und zog sich das Unterkleid über, das am Boden lag. Aufrecht stand sie neben der Lagerstatt, um den Cahors im Schlaf zu betrachten. Bis auf die oft hervorquellenden hellen Augen war er kein unschöner Mann, im Gegenteil. Zwar hatte er einen kahlen Schädel, aber dafür ebenmäßige Gesichtszüge, auch sein hoch gewachsener Körper war nicht abstoßend. Doch wenn er so meckernd lachte, wie er es häufig tat, war es das Pferdelachen eines Scheusals, in dem bereits das nachfolgende Zubeißen steckte.
Was sollte sie nur tun? Ihr Blick fiel auf den schweren silbernen Kandelaber, der in Reichweite auf dem Tisch stand. Sarazenische Machart! Bereits die alten Philosophen - das wusste sie - hatten darüber disputiert, ob Tyrannenmord ein legitimes Mittel sei. Und wie schrieb doch Seneca? Wer auf Grund seines Reichtums und seiner Ehrenstellung einen höheren Rang einnimmt , ist nicht groß. Warum erscheint er aber als groß? Weil man ihn mit dem Sockel misst!
Genau das geschah im Falle des Cahors. Jedermann hatte Angst vor ihm, nachdem er sich selbst auf ein riesiges Podest gestellt hatte. War heute der rechte Tag, das Scheusal hinabzustoßen? Wie unter Zwang streckte sie den Arm in Richtung Leuchter aus …
Doch als ihr Arm zu zittern anfing, zog sie ihn wieder zurück.
Sie war keine der elfenbeinernen Schachfiguren, die oben in ihrem Gemach standen. Auch war sie nicht die Dame, den König zu schlagen; keine Figur im Schach konnte das! Und Mattsetzen genügte nicht; Rashid saß vor der Tür.
Und wenn sie es dennoch versuchte? Die drei kostbaren Wachslichter auf dem Kandelaber flackerten, lockten …
Eine halbe Ewigkeit blieb sie, hin und hergerissen von ihren Gefühlen, neben dem Kopf des Cahors stehen. Irgendwann begann sie zu ahnen, was Bartomeu empfand, wenn er sie demütigte: Das Gefühl, Macht über einen anderen Menschen zu haben, war berauschend!
Der Erzbischof kicherte im Schlaf, als hätte jemand gerade einen unanständigen Witz gemacht.
17.
Bunte Fahnen, Wimpel und Bänder wehten über ihren Köpfen. Die mit Turnierdecken geschmückten und mit silbernem Zaumzeug versehenen schweren Pferde standen unruhig neben den Rittern, während der Herold ausführlich die langweiligen Regeln verlas.
Es donnerte weit entfernt …
„Selbst doppeltes Gift hat schon ungeheuer Gutes hervorgebracht“, raunte Aaron dem alten Saïssac zu, als sie
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