Alix ... : Historischer Roman (German Edition)
nebeneinander auf der überdachten Tribüne saßen, um dem Turnier beizuwohnen, das im Zwinger stattfand. „ER hat dem Spielmann die rechten Gedanken geschickt.“
Die ersten Ritter preschten los. Saïssac sah ihnen hinterher, warf dann einen beunruhigten Blick zum Himmel hinauf, wo sich dunkle Wolken zusammenballten. Hatte man je von einem Gewitter im Februar gehört?
„ER? Oh, nein, der HERR war nicht der Verursacher des Ärgernisses, Aaron, und auch nicht Villaine, der Spielmann. Mein Neffe selbst steckt dahinter. Er ist jung und ungestüm, wollte sich für Bérengers Schmähpredigt rächen und die üblen Drohungen aus Rom. Nun, seit gestern weiß jedermann, wo Carcassonne steht“, sagte er, zur Hälfte stolz, zur anderen verdrossen. „Katharer wie Katholik wie Jude. Doch ich befürchte, unser Stolz wird ein Nachspiel haben.“
Der Zwischenfall, von dem die beiden sprachen, hatte sich am späten Nachmittag des zweiten Festtages ereignet. Zuvor waren zur Ergötzung der Gäste die berühmtesten Liedermacher Okzitaniens aufgetreten. Arnaut Daniel, durch Geist und Witz bekannt - er reiste von einem sangesfreudigen Hof zum anderen -, hatte die meisten Lacher auf seiner Seite gehabt und die schönsten Kleider als Lohn empfangen. Mehrmals musste er sein Vorstellungslied wiederholen, bei dem alle begeistert mitsangen: Ich bin Arnaut, der den Wind liebt, und den Hasen mit dem Ochsen jagt, und gegen die Sturzflut schwimmt …
Keiner im Saal, selbst die hohe Geistlichkeit nicht, hatte zu diesem Zeitpunkt offen Anstoß daran genommen, dass bisweilen auch Kritik an Rom geübt wurde, vielleicht, weil es sich bei den Darstellern durchweg um berühmte Sänger handelte, Männer unter dem Schutz von Königen und Grafen.
Nach einer gemeinsamen Farandole durch die mit Fackeln beleuchteten Gassen Carcassonnes, war dann Villaines Auftritt gekommen.
Pagen zogen die Nachbildung eines Bergfrieds in den Saal, der von Zimmerleuten in tagelanger Arbeit angefertigt und bemalt worden war, und Villaine - eine Schellentrommel in der Hand - erklärte den Zuhörern, dass er zu Ehren der Brautleute ein neues chantefable aufzuführen gedächte - ein Stück also, dessen Verse abwechselnd gesungen und rezitiert würden. Der Held Aucassin - vom Meister selbst gespielt - kniete sich vor den Bergfried hin und sang ein wunderschönes Liebeslied für eine Frau namens Nicolette, die angeblich vom Vizegrafen von Beaucaire im Turm gefangen gehalten wurde. Plötzlich spitzte ein zierlicher Kopf aus den Zinnen heraus: Miquel, ein kecker Geselle und einer der besten Schachspieler am Hofe zu Carcassonne, hatte sich als Frau verkleidet. Alles lachte, als er - eine Perücke auf dem Kopf und mit rot geschminkten Lippen - die „Liebesantwort“ sang.
Unter heftigem Trommelwirbel trat nun der düstere Gegenspieler auf, der Vizegraf von Beaucaire, gespielt von Gondran, einem Musikanten, den im Palatium jeder nur „Fünfei“ rief - keiner wusste mehr, weshalb. Mit weitausholenden Schritten und unter Drohgebärden lief „der Graf von Beaucaire“ vor seinem Turm auf und ab. Fünfeis Mantel war schachbrettartig in den Farben schwarz-grün gewürfelt, und auf seinem Kopf schwebte wie eine Gewitterwolke eine große Samtkappe, von der ein Tuch malerisch auf seine linke Schulter fiel. Mit dunkler, wohltönender Stimme hielt er dem verliebten Aucassin vor, dass er sich das Paradies verscherzen würde, wenn er Nicolette zu seiner Geliebten machte.
Da drehte sich der Spielmann zu den Gästen im Saal um und hob die Arme wie anklagend gen Himmel: „Was soll ich im Paradies“, rief er, „wenn dort nur alte Pfaffen, Betschwestern und erbärmliche Bettler leben! O, nein, nein, mit denen will ich nichts zu tun haben! Ich möchte lieber zur Hölle fahren. Denn dorthin gehen auch die ansehnlichen Geistlichen mit ihren mit Gold geschmückten Fingern und die ordentlichen Ritter, die im Turnier oder in glorreichen Schlachten gefallen sind, tapfere Krieger und adlige Herren. Denen möchte ich mich anschließen. In der Hölle befinden sich auch die höfischen Damen“, rief er halblaut und hinter vorgehaltener Hand, „weil sie zwei oder drei Liebhaber besitzen, ebenso wie ihre Ehemänner Geliebte. Gold und Silber fährt zur Hölle, sowie all die schönen Pelze, und mit ihnen die Harfenspieler und die Spielleute und die der Welt zugetanen Könige. Mit denen will ich ziehen - Hauptsache, ich habe meine heiß geliebte Nicolette bei mir!“
Mit diesen Worten zerrte Villaine
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