Alix ... : Historischer Roman (German Edition)
solltest heute die Lektion lernen, dass eine Hand die andere wäscht.“
Irritiert sah Alix hoch. Das waren doch die Worte gewesen, die sie zu Estrella auf dem Totenbett gesagt hatte? „Wie meint Ihr das, Sénher?“
„Nun, du hast mich gebeten, Estrellas Leiche nach Montpellier zu überführen, aber du warst offenbar nicht bereit, dir meine Gunst auch zu verdienen.“
Nun holte Alix tief Luft. Sie stemmte die Hände in die Hüften. „Ich soll mir Eure Gunst verdienen?“, fauchte sie ihn an. „Verfügt über Estrellas Leiche nach Eurem Gutdünken, Sénher, meinethalben werft sie den Krähen und den Schweinen zum Fraß vor und mich gleich obendrein!“
Die Augen weit herausgedreht, starrte er sie an, während Alix das Schlimmste befürchtete. Wie am Tag ihrer Ankunft wich sie seinem Blick nicht aus, ließ sie es auf ein Kräftemessen ankommen.
Rashid trat ein. Wortlos deutete der Cahors zum Turmerker, der sich gegenüber dem Kamin befand. Während der Maure den Tisch herrichtete, Wachslichter anzündete und Holz nachlegte, zog sich Bartomeu einen schweren Bliaud an, mit Goldborten am Hals und den Ärmeln. Um die Taille legte er einen zweimal geschlungenen Gürtel. Dann öffnete er eine weitere seiner Truhen und zog einen seidenweichen hellen Pelz hervor, den er Alix um die Schultern legte. Mit höflichen Worten bat er sie, ihm beim Mahl Gesellschaft zu leisten.
Obwohl der Duft nach Minze seinen verwöhnten Gaumen reizen musste, rührte der Erzbischof bei Tisch die dampfenden Pasteten nicht an. Nach einer Weile nachdenklichen Schweigens trank er seinen Becher leer, und tupfte sich den Mund ab.
„Zum einen“, begann er, „bin ich nicht der Unmensch, für den du mich hältst, Alix. Ich kenne meine Christenpflicht. Der Sarg deiner Dame befindet sich längst auf dem Weg nach Montpellier. Zum anderen: Was du eben gesehen hast, nimmt weder einem Erzbischof noch einem Papst etwas von seiner Amtsheiligkeit und Amtsmacht.“
Alix traute ihren Ohren nicht. „Euer Amt … kann Euch doch nicht die Erlaubnis geben, derart zu sündigen, Sénher!“, erwiderte sie tapfer. „Christus hätte das sicher nicht erlaubt!“
„Luzifer hat im Himmel gesündigt. Adam im Paradies und der blutschänderische Lot auf einem Berge“, entgegnete ihr der Cahors gelassen. „Wenn das eigene Verdienst auf Erden für einen hochgestellten Prälaten oder einen Papst nicht ausreicht, so stehen die Verdienste der Heiligen zum Ausgleich bereit.“ Mit ernster Miene beobachtete er Alix.
„Als ich dich in meine Stadt holte“, sagte er, „musste ich die Zügel straff anziehen, um deinen Widerstand zu brechen. Heute ist jedoch der Zeitpunkt der Wende gekommen. Du hast die Prüfung bestanden.“
Alix Herz begann zu klopfen. Was meinte er mit „Wende“? Ließ er sie frei?
„Hör gut zu“, sprach er weiter, „wir alle, ob reich oder arm, groß oder klein, leben in einer von Unheil geschlagenen Zeit …“
Wieder trank er mit gierigen Zügen, als ob seine Kehle ausgetrocknet wäre.
Dann erzählte er ihr von der „Kröte“ Guibert, dem gespenstischen Novizenmeister und „verdorbensten Menschen dieser Welt“. Es war eine grauenvolle Geschichte widernatürlicher Leidenschaften und Praktiken, in der es von ausgestochenen Augen, abgeschnittenen Nasen, toten Ratten, rotglühenden Eisen, zu küssenden Hinterteilen und durchschnittenen Kehlen wimmelte. Im Alter von sieben Jahren schon war der Cahors in die Hände dieses Unholds gefallen, und das Kloster entpuppte sich für ihn, obwohl er ein eifriger und bemühter Schüler war, als Hölle.
Alix empfand für den Mann, der dieser Hölle zwar entkommen war, aber offenbar nur, um fortan andere zu quälen -, weiterhin nur Hass.
„Manchmal holt sie mich ein, die Vergangenheit“, sagte er und wischte sich über das glatte Gesicht, welches leichte Spuren von Schweiß aufwies, jedoch merkwürdigerweise keine seines lasterhaften Lebens. „Nachts, in meinen Träumen, musst du wissen … da finde ich mich wieder, wie ich nackt und kopflos durch die Gänge des Klosters irre, meinen gebleichten Schädel als Laterne vor mir hertragend. Rechts und links dringen aus den winzigen Zellen die Klagen meiner Mitbrüder, die wie ich, Guibert, den Novizenmeister meiner Kindheit, verdammen und ihm wünschen, dass er bis zum Jüngsten Tage in den heißesten Feueröfen der Hölle schmorte, um gemeinsam mit den Ketzern und Kreuzbespuckern qualvoll im schwefligen Rauch zu ersticken. Salvandorum paucitas,
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