Alix ... : Historischer Roman (German Edition)
Vollstrecker ihres letzten Willens.“
Rashid sagte kein Wort und verschwand.
Aufgewühlt und voller Angst stand Inés am Fenster ihres Gemaches in Carcassonne. Der feuchtwarme, böige Wind, der an ihrem Hochzeitstag aufgekommen war, hatte sich nach dem Gewitter und einer kurzen Abkühlung in der Nacht erneut eingestellt. Er fuhr ihr ins Haar, wann immer sie sich zu weit hinauslehnte. Obendrein war der Himmel von einem geradezu höhnischen Blau, das gut zu ihren Schuldgefühlen passte. Ihre Unruhe vertiefte sich.
In der Nacht, nachdem sie sich geliebt hatten, war die Rede zuerst auf Villaine gekommen. Halb amüsiert, halb zerknischt, hatte der Trencavel seinen Fehler zugegeben und gestanden, die Reaktion der Bischöfe falsch eingeschätzt zu haben. Villaine zu entlassen, wie Inés es ihm vorsichtig vorschlug, lehnte er ab. Der Spielmann sei sein bester Freund.
Kurz vor dem Einschlafen, nur noch Raymonds leiser Atem und das Knacken im Gebälk waren zu hören gewesen, stellte er ihr unvermittelt eine Frage, die sie auf der Stelle wieder glockenhell wach machte.
„Wie geht es eigentlich deiner Schwester Alix?“
Froh über die Dunkelheit, die im Schlafgemach herrschte, blieb Inés einzig zu fürchten, dass ihr Herz allzu laut pochte. Und tatsächlich - Raymond beugte sich zu ihr herüber:
„Was ist los? Weinst du etwa?“, fragte er erschrocken und betastete vorsichtig ihre Wangen. „Gibt es schlechte Nachrichten?“
Mit stockender Stimme log sie, dass die Mutter nichts über Alix` Verbleib wisse.
Doch der Trencavel, misstrauisch geworden, ließ nicht locker. „Und deine Stiefschwester Marie? Weshalb hat sie das Kloster wieder verlassen? Wusste sie denn nichts Näheres über Alix?“
Inés hatte natürlich auch mit ihr gesprochen. „Was willst du nur ständig?“, hatte Marie gezischt, „Alix wird wie jede Frau ihre Lektion gelernt haben!“ In diesem Augenblick - und das war wohl der Auslöser für die nächtliche Befragung durch Raymond gewesen - war Eleonore von Saïssac neben ihr gestanden. Die Tante musste den letzten Satz gehört und ihren Neffen unterrichtet haben.
Die Stille zwischen den Eheleuten war fast unerträglich. Raymond fasste nach Inés` Hand, wartete ... Irgendwann hielt es Inés nicht mehr aus. Das gute Einvernehmen mit ihrem Gemahl stand auf dem Spiel, wenn sie ihn weiter belog. Sie beichtete.
Bis zum Morgengrauen redeten sie miteinander, und noch bevor der Trencavel in die wichtige Besprechung mit dem König und den Grafen eilte, schlug er vor, die Vizegräfin von Foix in alles einzuweihen, deren Rat er sehr schätze.
Mit energischen Schritten lief Esclarmonde auf Inés zu, um sie in ihre Arme zu schließen. „Meine Liebe, lasst Euch trösten. Ihr habt Euch völlig richtig verhalten, indem Ihr Euch Eurem Gatten anvertraut habt“, sagte sie.
Inés nickte erfreut. Dennoch war sie befangen, scheu. So liebenswürdig diese Frau war, sie flößte einem Respekt ein, und mit ihren dunkelgrünen Augen schien sie tief in die Seelen der Menschen zu blicken. Einmal, als Inés beim Hochzeitsfest erhitzt vom Tanz zurückgekehrt war, hatte sie atemlos ein Gespräch zwischen ihr und Eleonore von Saïssac belauscht.
„Die höfische Minne lässt uns Frauen zu Heuchlerinnen werden“, war Eleonores Einlassung gewesen.
„Gleichermaßen ist es verwerflich“, hatte Esclarmonde gesagt, „wenn Priester Frauen dafür verurteilen, dass diese von Männern heimlich begehrt werden, und wenn man Huren öffentlich kennzeichnet, nicht jedoch ihre Freier!“
Inés war ganz blass geworden vor Schreck. Huren! Nicht einmal Alix hatte je solch ungehörige Wörter ausgesprochen!
„Nun, Euer Geheimnis ist gut bei mir aufgehoben“, beruhigte sie Esclarmonde ein weiteres Mal, als sie sich im Erker gegenübersaßen, wo die Sonne offenbarte, dass das Haar der Katharerin bereits mit Silberfäden durchzogen war. „Eure Mutter wird nichts erfahren. Eines muss ich jedoch wissen: Seid Ihr Euch wirklich sicher, dass man Eure Schwester gegen ihren Willen nach Cahors verschafft hat? Seid Ihr Euch sicher?“ Eindringlich sah ihr Esclarmonde in die Augen.
„In diesem Punkt besteht für mich kein Zweifel“, antwortete Inés mit fester Stimme, „der Cahors …“, sie errötete und hüstelte, „ich meine, der … “
„Erzbischof von Cahors“, ergänzte der Trencavel mit finsterem Gesicht. „Erzähl ihr die ganze Geschichte, Inés.“
Dieses Mal ließ sie auch den Vorfall mit dem Hakenmesser nicht aus, den
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