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Aljoscha der Idiot

Aljoscha der Idiot

Titel: Aljoscha der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Erdmann
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niemand findet. Warum ich immer diesen Aljoscha sehe, weiß ich nicht.“ Es schien, als hätte Sonja einen Kloß im Hals.Dabei lächelte sie, wenn auch ratlos. „Vielleicht“, sagte sie, „hast du die Fähigkeit, verlorenzugehen, nie verloren.“
    Aljoscha hörte, wie es metallisch aneinanderschlug im Schwertklingenwald. Es hätte keinen Sinn mehr, jetzt zu rufen, daß er treu wie Bronze war. Daß er, mit sich allein in weißen Nächten, alle schwarzen Teufel ausgetrieben hatte, die Leda das Rätsel des Absoluten stellen wollten. Und er dachte an Leda mit ihrer vornehmen, mühelosen Stimme, und daran, wie die Strähne, die sie hinters Ohr gestrichen hatte, ihr wieder ins Gesicht fiel, wenn sie sprach – wie ihre milde, leicht ironische Bewunderung bewirkte, daß man ihr etwas vorsingen und manchmal auch vortanzen wollte und es auch konnte – wie sie in ganz andere Gedanken unvermittelt Fragen warf wie: „Kann traurige Musik dich traurig machen?“ oder „Wen findest du eigentlich besser, Ingrid Bergman oder Lauren Bacall?“ – wie ihre Kleider über seine Stuhllehne geworfen waren, als hätten sie vollstes Zutrauen zur Lage – wie ihr blondes Haar nach Marzipan duftete und wie immer schottisches Wetter um sie war – wie er immer den Mann gefürchtet hatte, der bereit war, es zu sehen… daß sie ein tröstender Engel war in einer Welt, in der jedem ins Handwerk gepfuscht wird.
    Aljoscha versuchte nicht zu trauern um das Glück, das hinter ihm lag. Jetzt, in diesem Augenblick, verstand ihn Sonja besser, als er es verdiente. Jetzt, in diesem Augenblick, sahen sie es beide. Sein langsames Verlorengehen.
    „Ich weiß jetzt, was mein Fehler war“, sagte er. „Mein Fehler war immer, zu glauben, daß man einen anderen Menschen glücklich machen kann. Aber das kann man nicht. Ein Mensch kann sich nur selber glücklich machen. Und wenn ein Mensch nicht zuläßt, daß ein anderer ihn glücklich macht, dann hat der andere keine Chance.“
    „Ich dachte, du würdest Sonja sagen, daß wir uns trennen.“
    Aljoscha schüttelte den Kopf. Oder ein malus angelus bewegte sein Haupt hin und her.
    „Ich verliere den Glauben, Aljoscha. Früher dachte ich, was man erleidet, ist nicht umsonst, aber jetzt – mein Gott! Ich kann nicht reden, ich kann nicht schweigen. Ich kann nicht kommen, ich kann nicht gehen. Letzte Nacht war ich hier, bei dir.“
    „In Gedanken?“
    „Nein. In Wirklichkeit. Ich stand unter deinem Fenster. Ich sah das Licht und war so traurig.“
    „Du bist hier gewesen? Du hast da draußen gestanden? In der Kälte?“
    „Ja.“
    „Und du wolltest nicht zu mir herein… “
    „Ich weiß nicht… nein.“
    Aljoscha hatte Angst. Eine grauenvolle Macht bedrohte Leda. Eine Macht, die schon immer da gewesen ist. Aljoscha sah sie, wenn er in den Spiegel blickte.
    Wenn er in den Spiegel blickte, sah er, was hinter den Fassaden der auf- und abgeklärten Welt in Lauerstellung liegt. Tumultuarischer als das Chaos vor Kap Hoorn, wo zwei Ozeane aufeinandertreffen, ist das Aufeinandertreffen zweier Blicke, deren Schärfe alle Schichten des Gelebten durchtrennt und vordringt in den Sitz der Vorstellungskraft. Einsicht nehmend in den eigenen Grund riskieren zwei Seelen den Augenblick der unendlichen Spiegelung, der einen Korridor öffnet für die Zukunft, die aus der Vergangenheit kommt, und für die Gegenwart, die aus der Zukunft kommt. Wo dieser Korridor sich öffnet, da werden Schemen zu Gestalt, da deuten sich Bedeutungen von selbst, da gibt es ein Meer von Stimmen, die in flüsternden Wellen hin und her fluten und heimlich geteilte Gedanken hinterlassen. Ein jeder der Traum eines anderen, als wären wir nur Geburten der Sehnsucht.
    Wenn er in den Spiegel blickte, sah er sein Bild in einem anderen Blick, dem zwingenden Blick einer Frau, die alles tat, um nichts zu zwingen; die sich entzog, indem sie erschien; die seine Nähe suchte, um Ungerührtheit zu beweisen. Das war nicht zu erklären, und zudem war Aljoscha ein von Zweifeln belagertes Troja. Nur eines war gewiß, und jede Erklärung mußte sich dieser Gewißheit stellen: daß er IHR, der Katzenmenschenfrau, unter keinen Umständen hätte ausweichen können. Daß er SIE, so schön SIE war, auch gefunden hätte, wenn er blind geboren wäre und taub dazu. Er hätte es gefühlt. Aber was war es ? Etwas, das Aljoscha erinnerte an – nichts.
    Am Sonnabendvormittag hatte Leda ihn angerufen.
    „In der Zeitung war eine Annonce für eine Wohnung, die ich

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