Aljoscha der Idiot

Titel: Aljoscha der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Erdmann

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SIE zu ihm. Als gäbe es nichts mehr zwischen Deutung und Zweideutung. Dreieinhalb Minuten harte Gangart der Musik,
    I LOOKED FOR IT… AND I FOUND IT
    und wie für Poussin die Quintessenz der Malerei war, daß die Form sich der Aufgabe angleiche, so liehen sich die Botschaften vom Zufall
    LET’S BEGIN AGAIN
    die richtige Zeit und den richtigen Ort.
    BEGIN THE BEGIN
    Aljoscha stoppte die Musik, als die Metro einfuhr. Ein letztes Mal sah er sich um; unnötig, denn SIE folgte ihm bereits.
    Die Wintersonne ging unter. Die Wintersonnenwende war in den Januar verlegt. SIE stand ihm gegenüber, und zu häufig, um es noch comme il faut zu nennen, richtete er forschende Blicke auf SIE. Die abgründigen Augen! Im Dunkel wohl leuchtend und die Farbe wechselnd bei Schwarzmond. Um das linke Handgelenk trug SIE einen breiten Reif aus Silber, der an eine Haremssklavin denken ließ und mit seinen Ornamenten und Gravuren ebenso archaisch wirkte wie IHR schweres Ohrgehänge, das sich jetzt an den sorgfältig gebundenen Schal legte. Sicher wiesen die Gravuren SIE als Dienerin der Bastet aus, der katzengleichen Herrin von Heliopolis und Gespielin der löwenköpfigen Herrin von Leontopolis. Sicher war die Sonne für SIE nur die Barke der Millionen Jahre. Sicher war SIE keine Projektion psychischer Energie. Aber sicher war SIE die Körperwerdung einer Vision.
    Die Metro hatte Dobropol erreicht. SIE stieg aus. Ein Hund bellte. Aljoscha schaute auf den Bahnsteig. Der schmutzige Schnee begann zu tauen. Die blecherne Stimme schallte aus dem Lautsprecher: Zurückbleiben bitte ! Eine andere Stimme sagte: Jetzt mußt du brennen in deiner Furcht. Und dann war Aljoscha plötzlich draußen. Vorbei am Hüter der Schwelle. Mit den Schuhen im Schnee wie Petruschka beim Trommelwirbel. Herausgetreten. Aus der Metro und aus sich. Der Mensch bestand nicht aus unendlich vielen Atomen. Aljoscha hatte sie soeben alle gezählt.
    Seine Tat war einsam, wie jede Tat. Er lief ein paar Schritte, dann ging er hinter IHR her, wenige Sekunden, in denen die flüchtige Impression des Kontrastes zwischen dem Kupferrot IHRER Haare und dem Grün IHRES Mantels vorherrschte, Sekunden, in denen er die empörte Reaktion auf einen Wegelagerer voraussah und in denen es nicht genug Luft zum Luftholen gab. Und dann sagte er das erste Wort.
    „Pardon!“
    SIE wandte sich um, als hätte SIE es gewußt. Auf dem Antlitz ein Lächeln, das zweierlei bedeuten konnte. Entweder sagte es: auch Mädchen von jenseits der Karpaten müssen schlafen, aber für dich bin ich wach geblieben jede Nacht – oder es sagte, mit einem leicht spöttischen Unterton: Sieh an. So oder so, der allererste Blick und alle Blicke danach waren in IHREN Augen aufgehoben.
    „Hallo.“
    Es klang beinahe erleichtert, fast wie: endlich. Kein befremdetes „Ja, bitte ?“ mit indigniert hochgezogener Augenbraue. IHRE Lippen hatten sich für ihn samtweich um zwei Vokale geschmiegt, und er hätte schmelzen mögen wie das a und das
o
. Schrieb SIE auch Décembre 9, so sagte SIE doch hallo und nicht ‘allo.
    „Ich weiß“, sagte Aljoscha, „es ist gegen die Spielregeln, aber – sagen Sie mir Ihren Namen?“
    „Warum?“
    „Ich würde es gern – wissen .“
    „Katharina.“
    „Katharina ?“
    „Ja.“
    Wie Pjotr gesagt hatte. Deine Catherine ist schon da.
    Sie ergründeten einander durch die Augen. Ein Herz, das sich schenken will, ein Herz, das gebrochen ist, getrocknete Tränen und noch nicht geweinte Tränen, ein entfernter Schrei, Zeitlupentempo im Dschungel, das Knacken eines Zweiges, Fauchen. Wirklichkeit. Wahrmachung von neun Monaten. Unvergänglichmachung von Vergangenheit, Beantwortetsein, verantwortet, ein Ja, aus IHREM Munde, so also klang es. SIE gab ihm den Mondlichtring, sein Leben zog durch IHR Auge, das Ferne wurde nah und war nie fern. Er ging neben einer Fürstin, die unter ihrer Chapka wissend lächelt; er schnürte ihr die Stiefel für den Schnee von Petersburg. Aljoscha machte eine Reverenz und tat drei Schritte rückwärts.
    „Danke…“, brachte er noch hervor, und: „Auf Wiedersehen…“
    „Auf Wiedersehen!“
    SIE drehte sich um und verschwand in der Imponderabilien-ejakulierenden Welt. Aljoscha ließ sich auf eine Bank fallen. Wäre es ein windiger Tag gewesen, hätte ihn die erste Brise einfach fort geweht. Täuschte er sich, oder hatte er einen spitzen Eckzahn gesehen? War Vollmond wichtig für IHRE Ernährung? Er saß da und hörte das Quietschen einer Schaukel, auf der