Alkor - Tagebuch 1989
nichts ändern, aber ausholzen.
Dorfroman: Die Hühnerchen entwickeln sich gut, sie werden zusehends größer. Sie fressen übrigens ziemliche Mengen. Manche Körner lassen sie zurück, die mögen sie nicht, heute hatten sie auch die verzehrt, waren wohl sehr hungrig gewesen. Sie erwarteten mich schon an der Tür. Der Hahn ist ziemlich scheu, erst nach Gut-Zureden kommt er anstolziert. Gestern hatte ich ihnen übriggebliebene Linsensuppe in einer Schüssel hingehalten. Da guckten sie mich an, ob ich nicht ganz normal bin. Ich habe das dann ausgeschüttet, die Flüssigkeit versickerte, und sie machten sich über die festen Substanzen her. Manchmal picken sie auch an meine lindgrüne Leinenjacke. Als ob ich wie ein Hexenhäuschen eine eßbare Haut hätte.
Eine Elster stellt sich ab und zu ein, die wird von ihnen geduldet, Spatzen werden weggejagt.
Ich lese gerade die sehr interessante Biographie eines Mannes aus Uruguay, die werde ich auch vorschlagen für die Biographische Reihe.
Die Sozis und die Grünen wollen den 17.-Juni-Gedenktag abschaffen. Eigentlich müßte das doch ihre Sache sein, ein Arbeiteraufstand? Für so was müßten sie sich doch einsetzen? - Aber
ja, richtig: Es war ja gar kein Arbeiteraufstand, sondern nur eine vom Westen gelenkte Provokation. Man kann den Deutschen auf keinen Fall eine Priorität einräumen in Sachen Aufstand gegen Diktatur. Die steht den Ungarn und den Tschechen zu.
Im TV die Geigerin Mutter und ihr Mann, der sie wie eine Porzellanfigur behandelt oder wie eine Aufziehpuppe, die vielleicht demnächst vom Tisch fällt. Daß sie ein ganz normaler Mensch ist, irgendwie, aber doch etwas ganz besonderes.
Ihre schönen Schultern zeigt sie gern. Das ruft Wohlwollen hervor. Man braucht sich ja auch nicht gleich gänzlich freizumachen, wie diese Cellistin, wie hieß sie noch?
Früher konnte ich ganze Nächte fernsehen, nun hat sich bei mir eine Sättigung eingestellt, die mich stört, weil ich nun auch das Gute, was gelegentlich gesendet wird, nicht mehr sehen mag. Gorbatschows Besuch in Bonn ganz groß. Ja, wie kommt es, daß Bush nicht so bejubelt wurde? Nun, leicht zu sagen: weil Gorbatschow uns die Angst nimmt. Mit den Amerikanern sind wir doch im reinen. Die Sehnsucht der Menschheit nach Frieden wird hier - na, befriedigt ist wohl zuviel gesagt. Aber das alte Lied wird gespielt, und es klingt so süß. Daneben denken die Leute wohl auch: Für die Kollegen im Osten fällt vielleicht was dabei ab. Und: Dem Pack da drüben wird jetzt eins ausgewischt. Seine Festigkeit, seine gute Laune. Und, daß er sich uns huldvoll nähert, unseren Rat will, wie er sagt, und unsere Hilfe! Das mit der Abrüstung ist natürlich ein Trick. Zu all den Zugeständnissen waren die Amerikaner ja schon immer bereit.
Ob er’s schafft:«Glaub’s kaum», um mit Vater zu sprechen. In Peking geht die Menschenhatz weiter. Kuba und die DDR applaudieren. Unsere Linke schweigt. Es soll 2600 Tote gegeben haben. Andere Quellen sprechen von 10000. Konspirative Gespräche in einem Café, durch Bambusvorhang aufgenommen - und der Abtransport von Aufrührern (mit gesenktem Kopf!). Es sollen Dum-dum-Geschosse verwendet worden sein.«Kugeln, die sich wie Blüten öffnen»(«Spiegel»). Zuerst hatte es noch geheißen, nein, die Soldaten schießen nicht auf diese Menschen, die sind verunsichert, und ihre Sympathien sind auf Seiten der
Studenten - und solchen Quark. Soldaten schießen immer und überall, wenn man es ihnen befiehlt. Wie die NVA, die würde auch aus allen Rohren ballern. - Die Freiheitsstatue aus Styropor. Sindermann in der Volkskammer, daß er die chinesischen Brüder beglückwünscht. - Insgesamt sollen die Kommunisten in China im Laufe der Jahre über 30 Mio. Menschen umgebracht haben. Da sind die Hungertoten noch nicht mitgezählt. Auch in der Kulturrevolution, die unseren Studenten so gut gefallen hat, sollen Millionen von Menschen umgekommen sein. Das ist hier kein Thema.
Stärkste Knall-Hammer-Attacken des Vogels. Hildegard meint, wir sollten ihn hereinlassen, damit er sich alles in Ruhe angukken kann.
Nartum
Mi 14. Juni 1989
Bild: Gorbi!/Gorbi!/Jetzt müßte noch die Mauer fallen
ND: IX. Pädagogischer Kongreß eröffnet
Konnte wieder mal nicht einschlafen. Ich hatte mich zu sehr aufgeregt über den kurzen Ausschnitt, der zu sehen war aus Hark Bohms«Herzlich Willkommen»-Dreharbeiten. Das wird sicher ein unglaublicher Quatsch. Hat mit meinem Buch nicht das geringste zu tun. Müßte man
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