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Alkor - Tagebuch 1989

Titel: Alkor - Tagebuch 1989 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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ein Franzose spricht, gibt freimütig allerhand preis, über das man sich nur wundern kann. - Sportsmädel, die auf Fahrrädern Pyramiden bauen. - Begeisterte Vorpommern, die dem Staatsratsvorsitzenden in Greifswald Blumen überreichen, dazu ein unsinniger Kommentar über Greifswald: Diese Stadt sei als einzige kampflos den Russen übergeben worden! Das stimmt überhaupt nicht, in Rostock und in Stralsund wurde auch nicht gekämpft. Da haben
die Rotarmisten nur mit den Frauen wundersame Konflikte ausgetragen, sehr einseitige.
    Ich tat nicht allzuviel. Spielte Klavier, sprach mit Robert und KF. - Hildegard war nicht da, kam erst gegen Abend. KF war irgendwie wütend, weil er grade einen Öko-SF las.
    Beim Klavierspielen stört es mich, daß sie drüben vielleicht zuhören.
    In Reisbergers«Erinnerungen eines alten Malers»:
    Denke ich zurück an das Dunkel meiner Kindheit, so löst sich aus der unentwirrbaren Menge von Eindrücken eine bestimmte, festumrissene Erinnerung; eine knarrende Bettlade, ein alter Strohsack darin und eine schwere Decke. Meine alte Pflegemutter, die alte Seilerin, lag mit ihrer Tochter, der Seilernanni, darin, und ich war in die Mitte des unteren Teiles gelagert, so daß die Füße der beiden Frauen links und rechts von meinem Kopf waren. Und dann war noch etwas da, ein wolliges, warmes Ding, das der alten Seilermutter die armen kalten Füße wärmte, und das war Spitz, unser Hund … Wenn die Seilermutter und ihre Tochter zum Betteln oder zum Beten gingen, kroch ich zum Spitz in den Winkel hinten unter der Eckbank, und da kauerten wir stundenlang zusammen, geduldig wartend, bis die alte Pflegemutter mit einigen erbettelten Brocken Brot heimkam …
    Solche Art Berichte zum«Echolot»von’45 collagieren. Die statische Kindheitserinnerung, das Trappeln der Ausgewiesenen. Der Cherub steht noch dafür.
    Blumenfeld-Memoiren.
    Immer noch ein Rätsel, wieso Hanser mich damals gehen ließ.
    Arnold hat vermutlich ein schlechtes Gutachten abgegeben über die erste Fassung von«Aus großer Zeit», und da haben sie gedacht: Der Kempowski ist sowieso am Ende, der hat sich ausgeschrieben.
    Dorfroman: Die Hühnerchen sitzen auf dem Bock vor meinem Fenster, wenn ich arbeite. Ihre Neugier ist unstillbar. Auch sie hatten ein Paradies, aus dem sie vertrieben wurden.
    Gestern Abend ging ich mit Hildegard die große Runde. Nebel stiegen zwischen den Bäumen auf, und der Himmel war rot.

Nartum
Mo 12. Juni 1989
    Bild: Steffis Geständnis / Ich hatte meine Tage
    ND: Greifswalder Dom wurde rekonstruiert / Erich Honecker nahm an der festlichen Wiedereinweihung teil
     
    7 Uhr. - Vorm Fenster ein Kuckuck, der anscheinend gescheucht wird. Einiges Gezeter, und ihm ist auch nicht wohl. Umdrehen im Bett und nachdenken über die Höllenwelt, in der es uns ganz gut geht, wenn wir ehrlich sind.
    Unter dem Summen, der Rasenmäher, fern und nah. Mein Sitzplatz im Haselnuß-Garten: Begonien und die große Agave. Die Katze kommt und sagt mir vom Dach herab guten Tag, Hühner um mich rum. Die Glasglöckchen in den Zweigen klingen im Lufthauch (Süderhaff 1900! Von soweit her!).
    Im Innenhof sitzt eine Glucke mit acht Küken.
    Gestern zeigten sie im TV, wie etwa 150 Republikaner, ältere Herrschaften - Sprung auf! Marsch, marsch! -, in ein Versammlungslokal hechteten, von Vermummten bedroht.
    Gestern Lesung in Altenberg bei Köln. Der Bergische Dom mit fünf schiffigem Chorumgang! Ob es eine Ahnentafel der großen Kirchenbauten gibt? - Auch hier die verheerenden Folgen der Säkularisation. - Ich saß ein halbes Stündchen in der Bank, dachte an Rostock, an die Marienkirche.
    Oldenburg: Über das Verhältnis von Autor und Verlag. Interessiert die Leute sehr. Abenteuerliche Vorstellungen, was die Verträge angeht. Ob man sich mit Haut und Haaren … Ich erzählte weltmännisch, was sich da so alles tut. Und sie dachten, ich sitze ab und zu im eichengetäfelten Studierzimmer des Verlegers und trinke schweren Rotwein. Anschließend läßt er mich von seinem Chauffeur an die Côte d’Azur fahren. Daß auch diese Leute in hohem Maße schusslig sind, würden sie nicht verstehen. - Ledig-Rowohlt in seiner Coca-Cola-Fabrik empfing mich in Hosenträgern und stellte mir ein gemeinsames Essen in Aussicht, anschließend wurde ich abserviert. Bei Carl Hanser kriegte ich tatsächlich Rotwein zu trinken, aber da hing mir der«Tadellöser»
an, dessen Humor er nicht verstand.«Kaiser Borax», die Erwähnung dieses Pulvers war ihm immerhin

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