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Alkor - Tagebuch 1989

Titel: Alkor - Tagebuch 1989 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Menschen sich die Leberwurst so dick aufs Brot schmieren können. Das schmeckt doch gar nicht. - Seine Frau ist Jüdin. Zuerst erzählte er von Israel ganz interessant, zum Schluß artete die Sache in ein deutschjüdisches Verhör aus, das sie anstellte. O, blickt herab ihr Götter, was hab’ ich euch getan? - Ich kann mir das nun wirklich nicht mehr länger anhören. Den ganzen Tag beschäftige ich mich mit den Verbrechen der Nazis. Hätten wir bloß das Verdikt der Kollektiv-Schuld angenommen, dann wären wir jetzt fein raus. So müssen wir in jedem Gespräch ganz von vorn anfangen. - Sie habe ein Buch geschrieben, sagte sie, eine Bearbeitung ihrer Briefe, ob ich ihr einen Verleger … Und das bei schönstem Wetter und ganz ohne Vorwarnung.
     
    TV: Beisetzung der exhumierten Gebeine von Nagy. Ich erinnere mich noch gut an den Aufstand der Ungarn, in Göttingen war ich damals, und es wurde gegen die Sowjetunion demonstriert. Kleiderspenden und sogenannte ungarische Studenten, die an der Tür Zeitschriften verkauften. - Das reichte bis in die Breddorfer Zeit. Denen zu helfen, war eine nationale Sache. Die Rundfunkzeitung, die wir damals bestellten, haben wir heute
noch, und ich kann mir den Namen der Zeitung noch immer nicht merken. Wenn man sie abbestellen will, drohen schwerste Konventionalstrafen. In Budapest 1977 sahen wir noch die von Schüssen gesprenkelten Häuserfassaden. Mit Rosendorfer, Henscheid und Ror Wolf war ich da. Wir aßen in Speck gewickelte Bohnen in einem Lokal, das normale Ungarn nicht besuchen durften. Endlose Konferenzen mit Schriftstellerverbänden in jeder Stadt. Niemand kannte uns, und wir kannten niemanden. Ein Konzert auf der Burg, ein Jüngling in kurzen Hosen spielte vier (!) Mozart-Sonaten hintereinander weg. - 1945 wurden in den Kasematten der Burg Tausende deutscher Verwundeter von den Russen massakriert. - Wo die Ghettos sich befanden, konnte man uns nicht zeigen. - Rosendorfer sagte zu dem Kulturfunktionär, ich sei der 25 beste Schriftsteller der Bundesrepublik.
     
    Lesung, gestern in Winsen/Luhe, wunderbares Mikrofon, hab’s genossen. Der Büchereileiter erzählte vom DDR-Besuch: Zittau. Er stammt von dort und schilderte die Zerbröckelung der Stadt. Ein sonderlicher Sprechfehler:«Die niedri ch en Zäune.»Ich aß mit ihm in der Fußgängerzone Spargel mit Schinken: 55 Mark!
    Restaurant zum«Weißen Roß».
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Nartum
Sa 17. Juni 1989
    ND: Neue Initiativen der Bauern zum 40. Jahrestag der DDR
     
    Heute ist es zu schön, um buten to schieten (Vater Janssen). Ein wunderbarer, meeresfrischer Morgen. Ich versorge die Tiere, frühstücke im Innenhof bei Mozart-Quintett G-Dur, begieße Blumen, und nun geht es an die Arbeit.
    Dorfroman: Der Hahn schnüffelte in der Glucken-Wohnung (Hundehütte) herum.«Nach dem Rechten sehen.»- Glucke und Küken kamen zum ersten Mal ins Haus. Eine Staatsaktion war es. Kurzer Besuch eines Herrn. Er erzählte von Verwandten in Greifswald, die dort kein TV empfangen können, und nun manches einfach nicht glauben. Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Urlaubsgeld usw. Er erzählte auch von einem Atomkraftwerk dort, dessen Abfälle einfach in den Fluß geschüttet werden. Riesenfische.«Eßt ihr die?»habe er die Leute gefragt. - Ich müßte das planmäßig machen. Leute, die drüben waren, gründlich ausfragen.
    Gestern im TV die vier Scharfrichter: Ranicki, Karasek, Frau Löffler und der«Stern»-Mann (der noch am normalsten wirkt und deshalb auch nichts zu melden hat). Frau Löffler bezeichnete Salomons«Fragebogen»als«subaltern». In Frankreich hält man das Buch für eines der wichtigsten der Nachkriegszeit. Hier kennt es niemand mehr. - Sie entscheiden für alle Zeit, was Literatur ist, zu dick, zu dünn, zu subaltern, maßlos. Wenn wir sie nicht hätten! -«Subaltern», Gott, daß ich noch nie auf diesen Ausdruck gekommen bin. Norddeutsche Autoren kann sie nicht lesen, das ist ihr zu weit weg, sagt sie. -«Na, denn nicht!»hätte man rufen sollen.
     
    1999: Frau Löffler hat in einer späteren Quartett-Sendung mein«Echolot»sehr gelobt. Das sei ihr nicht vergessen.
     
    Um all die Lügen, Verdrehungen und Dummheiten richtigzustellen oder zu beantworten, die pro Tag über das TV

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