Alkor - Tagebuch 1989
wütende Lehrerwitwe aus Berlin: S. sei eine undefinierbare Persönlichkeit, sie habe sich durch das ganze Buch über ihn geärgert.«Wie kann er nur drei Busse voll Menschen durch sein Haus laufen lassen - und ein Reisebus faßt nur 45 Personen! Was wohl Ihre früheren Schüler oder Siegfried Lenz zu den ‹Hundstagen› sagen würden?»- Eine Dame aus Pulheim, Jahrgang 1908, moniert:«Warum soviel einprägsame Wiederholungen von Haut und Fleisch, von Ohrläppchen und Beinen?»- Ein Herr aus Wolfsburg hingegen hat die«Hundstage»«in einem Zuge»durchgelesen. Besser hätte das auch Surminski nicht schreiben können, sagt er. - Eine Lehrerin aus Oberursel lobt, aber findet die Frauen dann doch etwas sonderbar ausgewählt: Zur Darstellung der«Frau»in den«Hundstagen»:
Wieso kommen die Frauen als Typen so relativ schlecht weg? Sie sind entweder:
a. Gesellschaftszicken (Carola Schade, auf die übrigens die aus Tom Wolfes«Fegefeuer der Eitelkeiten»stammende Charakterisierung«tadellos ausgemergelt»vorzüglich passen würde)
b. großzügige, etwas verschwommen wirkende Dulderinnen (Marianne - obwohl sie noch am positivsten wirkt)
c. anspruchslose, anpassungswillige, jedes männliche Wesen vergötternde Kindfrauen (Löwenheckerchen)
d. leicht behindert (Erika)
e. diverse«Gattinnen»
f. noch allerlei den verschiedenen Dienstleistungsgewerben zugehörende Geschlechtsgenossinnen immer in untergeordneten Positionen
Und die Männer? Was sind das für Typen? Sollte man auch mal eine Liste zusammenstellen. Auch Männer sind Menschen , keine Halbgötter. Menschen sind jämmerlich, das wird jeder selbstkritisch zugeben müssen. - Wer etwas anderes lesen will, sollte sich Bücher aus der DDR kommen lassen.
Nartum
Mi 21. Juni 1989
Bild: Danke, lieber Gott! / Eisberg schlitzte«Maxim Gorki»auf / Alle 563 deutschen Urlauber gerettet, auch 30 Berliner/«Wir hatten uns aufs Sterben vorbereitet»
ND: Im Wettbewerb sollen die Bauzeiten verkürzt werden
Hitze. - Auch der neue Postbote kommt immer sehr spät, aber der darf das, weil das ein gehemmter Mensch ist mit Schwierigkeiten. Wir behandeln ihn therapistisch. Wir denken immer, wenn wir ihn anschimpfen, fährt er an den Baum oder hängt sich auf. Dem Job eines Briefträgers nicht gewachsen sein.
In der Nacht unruhig. Hunde bellten nah und fern. Heute früh lag eine tote, ausgesogene Taube auf der Allee. Ameisen krabbelten an ihr auf und ab. Ich begrub sie. Nun verstreut der Wind Daunenfedern. - Es ist so heiß, daß ich in meiner Sitzecke Wasser auf das Pflaster spritze, sitze bei meinen Tieren unter den honigtropfenden Haselnüssen und überlege, welche«message»ich in M/B unterbringen kann. Und stelle fest, daß darin schon wieder hunzelige Frauen vorkommen. - Der Hahn nimmt ein Sandbad. Er ist neuerdings mit dem Munterhund verfeindet. Unter den Augen des lebendigen Gottes giften sie sich an.
Herrlich, diese Stunden ganz allein. Ich denke an den Mann in
Kaulsdorf, der dauernd mit dem Schlafzimmerschrank umzieht. (Das Pfeilring-Motiv im«Tadellöser»). -«Echolot»-Arbeit ist deshalb so befriedigend, weil ich nicht ununterbrochen daran arbeiten muß. Kann ich auch mal zwischendurch immer mal was eingeben. Pro«Echo»-Tag haben wir drei, vier, manchmal fünf Eintragungen. Das sind die«dünnen»Tage. Es gibt aber auch welche mit 20. Nach welchen Gesetzen verteilen sich die Notizen der Menschheit? Wenn was passiert, haben sie keine Zeit, wenn nichts passiert, keine Lust? Im übrigen gebe ich nur das ein, was mich selbst interessiert. Heute suchte ich ein mutmaßliches Foto für den Kaulsdorfer heraus. Das geht eigentlich nicht. Physiognomie und Autobiographie: In der Physiognomie liegt die Biographie. Alter, Gestalt, das muß schon ein großer Zufall sein, wenn das paßt. Der Leser, der nicht weiß, daß ich dem Kaulsdorfer ein getürktes Foto unterschiebe, würde allerdings nichts merken. - Auf solche Schummeleien darf man sich nicht einlassen. - Nebenbei eine Statistik führen: Zu welchen Zeiten wurden Tagebücher geführt? Mehr Männer? Oder mehr Frauen? Warum?
Brief eines Herrn, der mich fragt, wo er das«Tagebuch eines amerikanischen Bomberpiloten»beziehen kann, trotz intensiver Bemühungen habe er es nirgends bekommen können. Es ist erschienen, das Buch. Es jetzt zu bekommen, ist genauso schwierig, wie es für mich schwierig war, überhaupt eine solche Biographie zu entdecken. Doppelt schwierig. Aber es wird überdauern, in den großen Bibliotheken
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