Alkor - Tagebuch 1989
nervt mich, wohl weil es manchmal so eilig ist.»- Da kann man ihr nur beipflichten, von ganzem Herzen.
Nartum
Sa 24. Juni 1989
Bild: Pokal-Finale, Schleich-Demo/Heute ist der Teufel los/ Wer kann, sollte mit der BVG fahren/Es ging um die Republikaner /Professor starb in ZDF-Talkshow
ND: Hohe Bauleistungen für die Stärkung der Republik/ Beschluß der 8. Tagung des Zentralkomitee der SED: Durchführung
der Parteiwahlen in Vorbereitung des XII. Parteitages der SED
Johannistag. Er spielte bei uns zu Haus eine Rolle, an Johanni mußte immer irgendwas bezahlt werden.«Zu Johanni …»Die Legende von dessen Tod, der Kopf, der Salome auf der Schüssel dargereicht wird. In den Kunstbänden, die bei meinen Eltern in dem meist verschlossenen Bücherschrank standen, hatte ich Darstellungen von der Enthauptung mit Lesezeichen markiert. Das Blut, das aus den Adern des Halses spritzt. - Der Tau der Johannisnacht, als Blut des Johannes gedeutet, gilt als Heilmittel gegen Sommersprossen. - Das Johannisfeuer findet nicht mehr statt in unserer Gegend, das Osterfeuer ist an seine Stelle getreten, es dient dazu, Müll zu beseitigen, der sich angesammelt hat.«Johannisfeuer»- irgendeine Ufa-Sache. Schöner Titel.
Da der Johannistag gleichzeitig der höchste Feiertag der Freimaurer ist, sei mein Vater am Tage drauf immer recht verkatert gewesen, wurde erzählt.
Mir verbindet sich das Gedenken an Johannes mit dem mecklenburgischen Lied:
O, Hannes watt’n Hot!
O, Hannes watt’n Hot!
De Hot, de hett dree Dahler kost’, Dahler kost’,
Dahler kost’ …
Die Sonnenuntergänge. Ich möchte am Ende unserer Allee ein Abendhäuschen bauen, nur zum Himmel-Anschauen. Hildegard will das nicht.«Ich bin dagegen», sagt sie. Weshalb, das bleibt ihr Geheimnis. - Ich habe mir einen kleinen Klappstuhl ins Gebüsch gestellt. Der tut’s auch.
Brahms, 2. Violin-Sonate. Was für eine liebliche Melodie. So etwas«schreiben», das ginge heute nicht mehr. Aber man läßt es uns hören, es ist nicht verboten, und das ist doch schon was. Ich bin deprimiert, weil mich jede Entdeckung auf das stößt, was sich von mir nicht mehr entdecken läßt. Zu spät!
Im Heiligenkalender über Johannes den Täufer:
Vermutlich beginnt Johannes um das Jahr 27/28 n. Chr. in der Jordansteppe mit seiner Bußpredigt. Er verkündet allen, die zu ihm kommen, das kommende Gericht und vollzieht an den Bußfertigen die Wassertaufe im Jordan. Äußerlich fällt er durch seine asketische Kleidung und Lebensweise auf. Er sammelt eine Jüngergemeinde um sich, aus der einige der späteren Jünger Jesu hervorgehen. Er kritisiert den Lebenswandel des Herodes Antipas, der ihn festsetzen und schließlich töten läßt.
Nartum
So 25. Juni 1989
Welt am Sonntag: FDP-Münch: Mit Kohl keine Wahl zu gewinnen /Parteien streiten um Wahlerfolge der Republikaner/ Geißler wirft SPD Sozialdemagogie vor
Sonntag: Ökologische Sicherheit. Von Max Schmidt
Heiß. - Etwa 50 Wildgänse im Keil, eine der Gänse flog ein Stück weit hinterher, holte sichtlich auf und ordnete sich wieder ein, mußte wohl mal. Ich dachte an Nils Holgersson, an die Atmosphäre dieses Buches, an den gelben Einband mit den Stockflekken. Akka, die Wildgans, und an die Abbildungen. Meine Mutter las es mir vor.
Auf meinem Nachtschrank liegt mal wieder Stendhal: die Tagebücher. Über die Deutschen: was sie essen, und über die Betten in den Gasthäusern:
Diese biederen Deutschen essen vier oder fünf Butterbrote, trinken zwei große Glas Bier und dann ein Glas Schnaps. Diese Kost muß den lebhaftesten Menschen zum Phlegmatiker machen. Mir nimmt das jeden Gedanken.
Außer dem kleinen Imbiß, der einem in den Gasthäusern angeboten wird, wenn man zu früh oder zu spät kommt, gibt es noch gegen ein Uhr das Mittagessen, das heißt eine Wein- oder Biersuppe, gekochtes Rindfleisch und eine Riesenschüssel Sauerkraut (oder gegorenes Kraut mit Würsten. Das ist ebenfalls ein Verdummungsessen).
Dann kommt ein Braten und ein Krautwurzelsalat, glaube ich; das riecht fürchterlich. Kräuter selten; wenn es welche gibt, sind sie fast immer nur in Wasser gekocht. Zu diesem Diner, das rasend schnell hinuntergeschlungen wird, gibt es verfälschten Wein, der nach Zucker schmeckt; er heißt Burgunder, kleiner Burgunder und so weiter und kostet fünfunddreißig bis vierzig Sous.
Sinclair Lewis äußert sich in«Dodsworth»sehr ähnlich über uns arme Deutsche und unsere Eßgewohnheiten.
Je älter ich werde, desto
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