Alkor - Tagebuch 1989
Komik, mit der sie geschrieben ist.
Keine Musik, nichts; auch nicht lesen. Schlafen. Als ich schon hinüberdämmerte, riß es mich wieder hoch, das Herz pochte. Ich ging in die Dusche und brauste mir die Beine, dann zog ich ein frisches Nachthemd an, klopfte die Kissen und legte mich. Dies ist dein Leichentuch, war zu denken.
Heute ist der Tag der heiligen Agatha :
Mit den Händen an einen Balken gehängt, werden ihr die Brüste mit einer Zange zerrissen, mit einer Fackel gebrannt und schließlich abgeschnitten. Ein Greis - Petrus - erscheint ihr im Kerker mit heilendem Balsam, aber sie weist die Erquickung zurück, tags darauf legt man sie auf spitze Scherben und glühende Kohlen, bis sie stirbt.
Lassen wir das.
Nartum
Mo 6. Februar 1989
Bild: Aids-Gefahr / Heroin-Spritzen auf Spielplätzen
ND: Ehrenbanner für herausragende Leistungen im Wettbewerb zu Ehren des 40. Jahrestages der DDR
Hildegard hatte gestern und heute ihren Lesetag, das empfinde ich als ein Kompliment, wenn sie still und stumm, saugendschnaubend in ihrem Pavillon sitzt und in das aufgestellte Buch hineinsieht.«Meine Frau liest.»Daß sie in Ruhe lesen kann, das ermögliche ich ihr immerhin.
Am Nachmittag habe ich die Hühnerchen zum Spazierengehen bewegen können. Die Sonne schien einen Moment, irgendein Frühlings-Vogel pfiff, die Luft hatte einen Anflug von Lauheit.
Da ließ Richard sich nicht lange bitten. Als Oberhahn ging ich voran, und das ganze Volk folgte mir.
Eine Frau rief an, ob wir nicht einen Pfau brauchen, 200 Mark, einjährig, weiß. Der kreischt dann über das ganze Dorf hinweg. Die Ehlers-Tagebücher liegen seit 1980 hier! Erst jetzt entfalten sie ihre Wärme. Ich versuchte Frau Ehlers anzutelefonieren - kein Anschluß unter dieser Nummer. Dann ließ ich mir alle Ursula-Ehlers-Nummern geben (sechs Stück!), und da erwischte ich sie. Ihr geht es nicht gut, aber sie will weitere Tagebücher fotokopieren und mir schicken. Nettes Gespräch.
Bin ich denn ein Menschenliebhaber?
Oldenburg, zwei Blockseminare. Die verwahrlosten Gebäude - schrecklich. Auf dem Parkplatz sprach mich ein Germanist an: Wie lange ich schon in Oldenburg sei? Was? Acht Jahre? Und noch nie in einem germanistischen Seminar aufgetreten? Das muß sich aber schnell ändern!
Eine Studentin meckerte heute dauernd dazwischen. Ich sagte, mein Ideal wäre es immer gewesen, als Vater der Schulkinder zu gelten.
Sie: Aber wenn die Kinder zu Hause einen schlechten Vater haben?
In der Nacht räumte ich in der Bibliothek allerhand Rezensionsexemplare aus den Regalen. Es ist unglaublich, was so alles für den Heizungskeller produziert wird. Neuerscheinungsliteratur. Flaches, maniriertes, verlogenes Zeug.
Heute kam ich nicht auf den Namen Richter, Hans Werner Richter. Ich assoziierte die Namen: Kuchenbäcker, Hohnejäger, und dann war Richter schon da. Kuchenbäcker, das war ein freundlicher Mitgefangener meines Bruders, von dem er später viel erzählte. Ich dachte wohl, wie gut, daß es den gab, der hat den Richterspruch gemildert.
Hohnejäger? Woher? Altstadt von Rostock? Ich glaube, das war ein Rohling, der sich gern prügelte. - Bedeutet: So hätte es auch ausgehen können, im Gefängnis damals, mein Lieber. Der«Richterspruch»ist unwirksam, wenn die Umstände entsprechend sind.
Und Hans Werner Richter? Vor einiger Zeit sah ich ihn in München bei einem Empfang, in seinem guten Anzug stand er da, ziemlich verlassen in einer Ecke. Ich redete mit ihm, weil er mir leid tat.
Ich besuchte ihn mal in Berlin, fragte ihn ein wenig aus. Sein pommersches Deutsch wirkte durch das schlecht sitzende Gebiß noch schwerfälliger.«Im Etablissement der Schmetterlinge»ist er auf Walser und Böll nicht gut zu sprechen. Auch Enzensberger kriegt sein Fett ab.«Meine Reise nach Rußland mit Hans Magnus Enzensberger»heißt das entsprechende Kapitel. Das ganze Buch ist sehr zu empfehlen. Es wird nicht über die erste Auflage hinweggekommen sein.
In dem Buch liegt ein Prospekt seines Ponyhofs als Lesezeichen:
Woran mag es liegen, daß Kinder sich bei uns so wohl fühlen? Bei uns verleben die 7 - 14jährigen ihre Ferien ganz ungezwungen in einer Marschlandschaft mit Bauernhöfen. Unser Ponyhof liegt ca. 2 km von der Nordsee entfernt in der Nähe von Busum. Er ist 12 500 qm groß, mit Obstgarten, Fischteich und einer großen Spieltenne mit Vorplatz. Auf unserer Weide stehen Isländer, Norweger, Welsh und Shettys. Dazu kommen Esel, Hunde, Katzen, Enten und Kaninchen. Das
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