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Alkor - Tagebuch 1989

Titel: Alkor - Tagebuch 1989 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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von«Tadellöser & Wolff», vielleicht wollten sie ja nur einmal tief durchatmen? Vom schweren Essen im Jägerhof mitgenommen, nun sich Bewegung verschaffen?
    Wir aßen heute Kartoffelpfannkuchen. Ich mag sie gern, wenn sie etwas kross sind.
    Mit Öl braten, das kannten wir zu Hause nicht.
    In meiner Brieftasche fand ich eine Tankstellenquittung mit Plankton-Notizen darauf. Der Brieftaschenentleerungskasten: alte PEN-Ausweise, Terminkarten vom Friseur, Adressen. Das ist eine eigene Kleinflora. Die ins Leder gestanzte Firmenmarke läßt sich nicht entfernen.

Nartum
Do 2. Februar 1989
    Bild: Starb ein falscher Heß in Spandau?
    ND: Erfolgreiche Wahlperiode in Städten und Gemeinden
     
    Ich las eben, da ich nicht mehr schlafen konnte, weiter in Ludwig Grimms Lebenserinnerungen, die Beschreibung seines Lehrers:
    Über dem Pult, oben an der Wand, war ein Faden befestigt, daran hing der Brill; den setzte er auf, und wenn er vom Pult ging, bammelte der Brill in der Luft.
    Da hat er wohl ein wenig gesponnen.
    Fechners«La Paloma»-Film wurde gestern gesendet. Was den Film etwas langweilig machte: Daß die Seefahrt nicht im Mittelpunkt stand. Und das hatte man bei dem Hans-Albers-Titel doch erwartet. Mangelnde Ausgewogenheit, man merkte, anders als bei«Klassenfoto», wer Fechner sympathisch war und wer nicht, und die Sympathischen kamen dann natürlich öfter zu Wort. Von der Seefahrt war nur am Rande die Rede.
    Bleibt sein Verdienst, und das ist immer und immer wieder zu erwähnen: einen Zyklus geschaffen zu haben von beispielloser Monumentalität.
    Ein Mann kam über Mittag und wollte uns andrœhnen.
    Hildegard:«Jaja, das wissen wir alles.»
    Dorfroman: Als ich spazierenging, sah ich die Hühner sich in einem sonnigen Winkel zusammendrängen. Sie wissen, was ihnen gut tut. Richard machte die Runde mit schlotterndem Kamm. Wartet, bis die Samendrüsen wieder aufgefüllt sind.
    Hildegard cremt mir die Füße ein, zwar nicht mit Narde, aber doch immerhin, wir sitzen in der Halle. Der Munterhund mault, er ist offenbar eifersüchtig. Er registriert es übrigens, wenn ich mich mal«gut»angezogen habe. Kommt dann an und betrachtet mich.
    In Oldenburg habe ich den Studenten gesagt, wenn sie eines Tages Lehrer sind, sollen sie sich öfter mal«schön»machen, also was Gutes anziehen usw. Schließlich seien die Kinder gezwungen,
sie den ganzen Tag anzusehen. - So was fällt nicht gerade auf fruchtbaren Boden. Im übrigen wirkt es auch auf mich angenehm, wenn vor mir gepflegte Studentinnen sitzen, was selten genug der Fall ist.
    Die Professoren übrigens laufen«unter aller Kanone»herum, in dieser durch und durch verwahrlosten Bildungsanstalt. Passen sich auf ihre Weise an. Urlaub machen sie dann freilich in der Toscana mit allen Schikanen.
     
    1999: Nur auf uns Unkundige macht die Kleidung der Jugend einen abgerissenen Eindruck. Es heißt, daß Modemacher in New York in den Armenvierteln genau studieren, in welcher Weise die Kleidung der Armen dort«abgerissen»ist. Und das werde dann als neuester Trend in Europa kopiert. Ich dachte immer, die Jugend und das, was sich dafür hält, stelle sich bereits auf die nahende Verelendung ein.
    Inzwischen hat sich das Bild verändert. Schlips und Kragen ist wieder in.
    Pappiges Brot, nach Innereien schmeckende, versalzene Wurst, wässeriger Quark, labberige Zwiebel (ohne jede Schärfe). Das sind die modernen Zeiten.

Nartum
Fr 3. Februar 1989
    Bild: Mutter quälte ihr Baby zu Tode /«Ich habe Sandra nie gewollt»
    ND: Treffen Erich Honeckers mit chilenischen Kommunisten
     
    T: Ich besuche Arno Schmidt in seiner Kleinstadt, Wismar? - Ich war sehr glücklich über diesen Traum, fühlte mich reich beschenkt.
     
    Im übrigen machte mir in der Nacht Rohkost zu schaffen, die ich gestern aus einem Gefühl der Verantwortung heraus zu mir
nahm. Früher wurden einem Gustav Nagel und solche Leute als abschreckendes Beispiel vorgehalten.
    Vom Video den Trakl-Gedächtnis-Film. Weihe überall. Da man ja keine Filmaufnahmen hat von ihm und seinen Zeitgenossen, wurden Häuser gezeigt und Zimmer und mit Geräuschen unterlegt oder mit Musik, die den beginnenden Wahnsinn illustrieren sollen. Ein Jugendfreund wurde gezeigt, das war aber keiner, sondern ein Schauspieler, der ein Feuerzangenbowlen-Gesicht machte: Erinnerung, holde! Dann ein leeres Theater, Stimmengewirr, Vorhang auf, nichts. Sind’s Geister? Dann natürlich auch elektronische Klänge. Das war noch schlimmer als Peter Hamms

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