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Alkor - Tagebuch 1989

Titel: Alkor - Tagebuch 1989 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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einen Blumenstrauß gekauft. Die Studenten morgen werden sich über den Luxus wundern, der bei uns herrscht. (Wie bei Frau Knef in Berlin, bei der in jedem Zimmer große Blumenarrangements standen. Allerdings künstliche. Sogar die herabgefallenen Blütenblätter waren künstlich.) Ob man Seidenblumen zur Reinigung geben kann? Rechnungen erledigt. Seminar-Annoncen in der ZEIT kosten 270 DM.

    Ein für den Sommerclub vorgesehenes Mädchen lehnt meine Einladung bedauernd ab, sie sei für die Ferien ausgebucht. Sie wolle eine Brieffreundin in England besuchen, erhalte selbst Besuch von einer Freundin aus Finnland, und außerdem fahre sie mit ihren Eltern noch 14 Tage in die Provence. - Ich fürchte, daß sie es in ihrem Leben nie bedauern wird, meine Einladung abgeschlagen zu haben.
    Ideale Vorstellungen von einem Zusammenleben mit Jugend. Ein bißchen stefan george spielen. Weiße Umhänge tragen und blumenumkränzte Reigen veranstalten. (Hundstage!) In der Verfilmung von Wells’«Zeitmaschine»kam so was vor. Die schöne Jugend durfte sich nur von Früchten nähren und wurde anschließend aufgefressen.
    Heutzutage werden eher Männer aufgefressen, auch wenn sie sich nicht von Früchten nähren. Monstrositäten im Scheidungsrecht.
    Blütenlese aus dem letzten VHS-Seminar:
    «Ich habe Ihr Buch gelesen.»-«Welches?»-«Uns geht’s ja noch golden.»
    «Der Name ‹Tadellöser› … haben Sie den vom Film?»
    «Mein Vater bewirtschaftete zehn Morgen Wind hinterm Haus.»
    «Der redet viel, wenn der Tag lang ist.»
    23 Uhr. - Es war ein wunderbarer Tag, voll geheimnisvoller Halluzinationen. Starke energetische Erinnerungsüberfälle, wie von einem Sender angepeilt: Meine Buntstifte beim Scharlach. Das Enklave war wie ein Kraftschub. Sonderbar.
    Im TV das Charlottenburger Schloß, ganz interessant. Die Russen haben’s 1760 verwüstet, dann 1945. Und trotzdem ist alles wieder okay. Ich wußte gar nicht, daß das bekannte Napoleon-Bildnis dort hängt. Die Prinzessinnengruppe von Schadow. Der Film war etwas zu stark ausgeleuchtet. So hell hatten sie’s doch damals nicht.
    Neuerdings haben wir Ratten im Hühnerstall. Hildegard guckt mich ratlos an. Ich weiß es ja auch nicht.
    Der Kater ist riesengroß geworden. Kommt öfter mal blessiert nach Haus. Ich kämme die Katzen morgens nach dem Frühstück,
was sie vor Wohlbehagen fast irre werden läßt. Sie schnurren so laut, daß der Munterhund von vorn gelaufen kommt. Nachmittags liegen sie verknäuelt auf dem Bett.
    Fastnachtswahnsinn, Rosenmontag. Und sie haben keine Ahnung, weshalb sie eigentlich feiern. Sie feiern ja sogar in rein evangelischen Gegenden, wo sie vom Fasten noch nie was gehört haben, es sei denn in kosmetischen Kursen.
    Ich habe gehört, daß professionelle Tabakschnupfer nach Gebrauch des Pulvers nicht niesen dürfen, das gehöre sich nicht. Hier niesen sie, um im Vergleich zu bleiben, ohne geschnupft zu haben. - Das war schon ziemlich jämmerlich, wie der alberne Helmut Schmidt plötzlich öffentlich zu dem Schnupfhorn griff und kleine Pyramiden auf dem Handrücken aufhäufte! Kam mal ein Referent, bei einer größeren Veranstaltung und sagte zu mir, Schmidt möchte mich gern kennenlernen. Er saß am Tresen, guckte sich kurz nach mir um (ohne die Zigarette aus dem Mund zu nehmen) und reichte mir die Hand über die Schulter.
     
    2001: Nichts gegen Loki: Sie hat mir mal was Hübsches in mein Poesiealbum gezeichnet.
     
    Hildegard holte aus Zeven griechisches Essen. Ich fraß mich endlich mal wieder satt. In deutschen Gaststätten werden keinerlei Gewürze mehr verwendet, bei Schlachtern sind sie unbekannt. Preßkopf ohne Kümmel, das ist die Regel, und zu Gurken fallen ihnen nur Senfkörner ein. Knoblauch gilt als proletarisch. Bevor wir in das gewürzlose Zeitalter aufbrachen, gab es bei der Firma Ostmann Schränke mit Gewürzfläschchen zu kaufen, ich glaube, keine anständige deutsche Hausfrau hat auf den Erwerb dieses Schränkchens verzichtet, und keine sie je benutzt. - Vanille natürlich.
    Herrgott, wie schmeckte früher die deutsche Wurst gut! Vorbei, vorbei!
    Paprika besteht nur noch aus roter Farbe, scharf ist er keinesfalls.

    Folgt die Inspektion des häuslichen Gewürzschrankes:
    Was fällt Ihnen dazu ein, mein Herr?
    Bohnenkraut
Cayenne-Pfeffer gemahlen
Curry
Dillspitzen
Endoferm für Salate
Estragon
Grüner Pfeffer
Ingwer
Kerbel
Koriander
    Kräutersalz
Kümmel
Majoran
Muskatblüte
Nelken

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