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Alkor - Tagebuch 1989

Titel: Alkor - Tagebuch 1989 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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besorgen müssen von irgendwelchen Stiftungen, darüber ist er sich im klaren. Aber er wird nichts kriegen, denn bei VW werden sie sagen: Knaus? Das ist doch Bertelsmann, die haben doch Geld genug!
    «Ausreiser», ein neuer Ausdruck, der wohl an«Ausreißer»erinnern soll. Die bürgerlichen Fortschrittler drüben haben einen Piek auf sie. Wer weggeht, ist ein Verräter.«Hierbleiben!»ist die Devise. Aber sie waren ja in der DDR geblieben, und zwar verdammt lange. Und«Ausreisen», das wissen wir doch, ist schließlich auch ein Politikum (das sogenannte Abstimmen mit den Füßen).
    Stimmen in die Westkamera hinein:«Ich habe lebenslänglich DDR!»-«Wir wollen raus!»-«Stasi weg!»-«Ick hare mit zwee Kinda 400 Maak.»
    Joachim Fest:«Gegenlicht». Sehr gutes Buch. Daß er sich mit
einem Mafia-Boss getroffen hat, ist für ihn berichtenswert - obwohl dabei nichts herausgekommen ist. Alexander von Humboldt traf sich mit Indianer-Häuptlingen, das ist schon interessanter.
    Wer«Gegenlicht»gelesen hat, wird niemals nach Italien fahren. Kleines Festessen mit Rotwein und Kartoffelauflauf, Steak. Süße Apfelsinen hinterher.

Nartum
Di 14. März 1989
    Bild: Rot-Grün und NPD/Ist denn Kohl an allem schuld?
    ND: Bedeutende Ex- und Importverträge mit vielen Partnern abgeschlossen
     
    Vom Vogelzwitschern wach geworden.
    Gestern waren wir in Vorwerk und kauften in einem kleinen Emma-Laden ältester Art ein.
    Ich sag:«Haben Sie Chips?»
    Dicke alte Frau an der Kasse:«’n ganzen Berg!»
    In der Apotheke kaufte ich eine Zahnbürste, die nicht umkippt, wenn man sie aufs Glas legt, und normale Zahnpasta, keine rote oder blaue.
    Gestern habe ich eine Einladung nach Shanghai abgelehnt. Ich kam mir überhaupt nicht heroisch dabei vor. Shanghai? Was soll ich da? Dann schon lieber Pisa, obwohl dort Mopedjünglinge mit Kassettenrecordern um die Kirche donnern, um die Touristen, von denen sie leben, zu ärgern, wie mir erzählt wurde.
    Wenn ich Geld hätte, würde ich einen jungen Kunsthistoriker engagieren, der mir die oberitalienischen Städte zeigt, Ravenna! Ich möchte wohl gern mal nach Ravenna. Aber es geht nicht mehr. Es ist zu spät.
    Ein Hamburger Literaturveranstalter fragte mich, ob ich in Hamburg mit Hermann Kant diskutieren will: Natürlich nicht. Den Herrn schätze ich nicht. Schon deshalb nicht, weil er eloquenter
und vermutlich gebildeter ist als ich. Während ich im Zuchthaus saß, hat er Nietzsche und Schopenhauer gelesen. - Daß man diesen Menschen überhaupt nach Westdeutschland einlädt? Er sei halb taub, wird erzählt, und man stelle ihm provozierende Fragen, wenn er in Westdeutschland liest. Das sei doch taktlos? Ich lehnte ab und: Siehe da! Nun fragen sie heute zurück, ob ich denn nicht vielleicht allein den Abend gestalten will? Ja, allein, ja. Aber zusammen mit dem Parteigenossen nicht.
    Heute war ein flauer Tag. Am Ende ergatterte ich aber doch noch ein paar Seiten fürs«Echolot». Die notwendigen Aktivitäten der Hilfskräfte lähmten mich, sie bringen Unruhe ins Haus, obwohl ich sie kaum bemerke. Auch wollen sie mich politisch belehren, was man tunlichst alles nicht sagt , erklärten sie mir, und sie machten es deutlich, daß ich ein konservatives, wahrscheinlich rechtslastiges Schwein bin. Das Wort«Nazi-Barbarei». Daß ich das ablehne, verstehen sie nicht.
     
    Seminar: Es sind jetzt 50 zahlende Gäste angemeldet. Wenn die Post kommt, tasten wir die Briefumschläge nach Schecks ab. Man hat das bald raus. Hildegard interessiert sich auch dafür. Ich schäkerte ein wenig mit ihr. - Eine Dame fragt, ob sie ihren Hund mitbringen darf?
    Ich bin ein Privilegierter. Habe mir vorgenommen, noch bewußter in der Ehe zu leben. Eines wüßte sie jedenfalls, sagt Hildegard, daß ich ihr, wenn sie alt wird, den Pinkeltopf unterschieben würde. - Sie spricht oft vom Altwerden, hat einen sonderbaren Horror davor. Wahrscheinlich wegen ihrer Mutter, die allerdings noch keine Pinkelpfanne benötigt.
    Sie sei keine Krankenschwester, sagt sie auch. Das ist nun weniger angenehm zu hören.
    Die Wollust, mit der die Katzen mich umgurren. Wenn eine Frau so täte, würde es einem angst machen. Frauen tun anders.

Nartum
Mi 15. März 1989
    Bild: Tegelhäftlinge/Anwalt brachte Drogen in Knast - verhaftet
    ND: Regierungskommission zur Überwindung der Folgen des Gebirgsschlags in Merken/Hervorragendes Handelsklima führte zu weiteren bedeutenden Verträgen
     
    Als ich heute abend ins Bett stieg, mußte ich laut lachen. Es ist

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