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Alkor - Tagebuch 1989

Titel: Alkor - Tagebuch 1989 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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schon wunderlich gelaufen, das Leben. Ich lachte extra laut, damit Hildegard es hört und denkt:«Nun ist er verrückt geworden. »
    Was nützt es, daß ich guter Laune bin, wenn’s niemand merkt? Die unglaublichsten Sensationen ereignen sich in der Welt, SU lenkt ein, Abrüstung, Ungarn löst sich aus dem Ostblock - und das alles rangiert in unsern Medien als Randerscheinung. Bei uns werden die 50:50-Leute gehätschelt.
    «Echolot»: Ich bearbeitete den 15. Januar 1945, fand noch nichts vor. Nun fülle ich mit dem Eßlöffel Texthappen ein. Mrongovius ist in Heidelberg und wundert sich darüber, daß die Leute dort nicht in den Luftschutzkeller gehen bei Fliegeralarm. Sie stehen auf der Straße und gaffen die sogenannten Feindverbände an. Das findet er unerhört.
    Zehn Tonbänder gekauft für das Lesen vom«Tadellöser»: 54 Mark. Ich lese ein Kapitel und spiele dann eine Swing-Platte von damals mit aufs Band, möchte das gern bis zum Schluß durchhalten. Auch andere Musik, was gerade vorkommt in dem Text: Glückes genug und die«Melodie»von Rubinstein, das Frühlingsrauschen. Nicht zu vergessen«Herbstlaub»von Fibich. - Die Bänder kommen ins Archiv, nie wird sich jemand dafür interessieren. Mir macht’s Spaß, das ist die Hauptsache.
    Ach wie schade, daß man gedruckten Texten nicht Musik unterlegen kann. Die Sache mit der Schallplatte hinten drin, ist keine Lösung. Kommt mir die Idee, den Bändern auch Fotos beizugeben, Musik, Fotos und Filme. In Bücher hineingehen wie in einen Irrgarten.

    Aber wie sollte man das jemandem vorführen? Soll ich mich vor einen Fernseher setzen, das Band abspielen und dazu die Feuerzangenbowle auf dem Bildschirm laufen lassen? Eintauchen in eine vergangene Zeit. Jugend würde manches besser begreifen. Dorfroman: In der Nacht Hunderte von Wildgänsen überm Haus nach Nordosten.
    Mit Hildegard saß ich ganz friedlich zusammen. Die Katzen stießen sonderbare Schreie aus. Manchmal rennen sie plötzlich ohne ersichtlichen Grund durchs Zimmer.
    Möchte mich gern fotografieren lassen mit Katze um den Hals. Das Sensationsfoto von Hitler mit Krähe auf der Schulter. Spaziergang war nicht möglich, da Gülle gefahren wurde. Abends mit Hildegard essen gegangen.
    Kuby:«Mein Krieg».

Nartum
Do 16. März 1989
    Bild: Kaiserin Zita ohne Herz ins Grab / Es bleibt beim Herzen ihres Mannes in der Schweiz
    ND: Wahlaufruf im Mittelpunkt demokratischer Aussprache
     
    Gestern Film:«Kapitel für sich», erster Teil. Kann es nun nicht mehr ertragen.
    Am 23. und am 24. werden die anderen beiden Teile, kurz vor Mitternacht, ins Auge des Konsumenten geträufelt. Die Pupillen werden nicht größer davon. Meine erste Reaktion damals in Hamburg, als sie mir alle drei Teile kurz nach Fertigstellung in einem Kino vorführten, war schon richtig. Mir sträubten sich die Haare! Es war ein Fehler von Fechner, nicht auf mich zu hören, und es war falsch von mir, nicht intensiver einzuwirken auf ihn. Da hätte manches vermieden werden können. Das Schlimme ist, daß er die scheinbare Naivität, mit der ich die Haftzeit geschildert habe, mißdeutet hat, und daß dadurch die politischen Häftlinge in ihrer Situation lächerlich gemacht werden.

    Ich hätte mich sofort öffentlich davon distanzieren sollen, aber damals hoffte ich noch, daß es weitergeht mit den Verfilmungen:«Aus großer Zeit»usw., und da wollte ich ihn nicht verärgern. Ich blieb an ihm kleben.
    Heute Arbeit am«Echolot». Ich nahm mir den 26. Februar 1945 vor, den sanguinischen Hessel. Er berichtet von einem 1000-Bomber-Angriff auf Berlin und von der Einberufung des Jahrgangs 1929,«das letzte Kanonenfutter». In der Tat, ich bekam die Einberufung am 17. Februar, obwohl ich noch keine 16 war. Dann der 5. Februar 1945.«In Berlin ist die Front mit der S-Bahn zu erreichen», schreibt Mrongovius.
    Am 6. Februar 1945, Buber-Neumann: Zwei Aufseherinnen schlagen mit Lederriemen auf die Häftlinge ein.
    7. Mai 1945, Eva Engel, die ihrem gefangenen Mann ins Lager folgt und sich am Stacheldrahtzaun niederläßt.
    Gestern rief Karl Lieffen an. Wir plauderten etwas, d. h., er erzählte, was er für Filme macht im Augenblick. Für T/W hat er damals nur 25 000 Mark bekommen, was ich gar nicht glauben kann. Er haßt Fechner.
    Gewitter. Ich zog alle Stecker raus, man kriegt nichts ersetzt. Was auf meinem Computerchen ausgelöscht würde, wäre beachtlich.

Nartum
Fr 17. März 1989
    Bild: Berlin Rot - Grün/Momper, nun regier’ mal schön!
    ND:

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