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Alkor - Tagebuch 1989

Titel: Alkor - Tagebuch 1989 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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sagt:«Jetzt machst du mich schlecht!»und kriegt einen roten Kopf.

    Ob der Hund mir die Zeitung holt, fragte die Interviewerin. Fotografengeschichten. - Neulich: Ein Fotograf drückte mir eine DDR- und eine BRD-Flagge in die linke und die rechte Hand, dazwischen stände ich doch, oder? Sei das nicht so? Er zupfte an den Fahnen herum, aber ich weigerte mich: Mit der DDR habe ich nichts zu tun. Dieser«Staat»ist mir widerlich. Ich zog stattdessen, weil ich unbedingt die Farben Schwarz-Rot-Gold irgendwie vorführen sollte, eine schwarze Hose und eine rote Jacke an. Sodann blies ich auf der Tuba (gold!) . Zwei Stunden Arbeit, und in der Zeitung dann ein Foto in Briefmarkengröße. Die VP hat im Laufe der Jahre 111 Leute an der Grenze erschossen. Interessanterweise auch mal einen Italiener, das hat die Italiener aufheulen lassen, sonst war ihnen die Sache mit dem«antifaschistischen Schutzwall»egal. Haben sich auch schnell wieder beruhigt. Das sind sogenannte«Zwischenfälle». Der Mann, der mit dem Ballon über Westberliner Gebiet verunglückte, ist noch gar nicht mitgezählt.
    Drei Tage Volkshochschule - schweres Brot. Am ersten Tag sind sie vernagelt, am zweiten tauen sie auf, und am dritten wollen sie für immer dableiben.
    Der Anfang von«Mark und Bein», den ich den Leuten vorlas, gefiel mir ganz gut. Morgen mache ich weiter.
    Das große Literatur-Seminar nächste Woche wird erstmals in veränderter Form abgehalten. Der Abendgast wird auch den folgenden Vormittag übernehmen. Effekt: Ich trete in den Hintergrund, und die Gäste können sich besser entfalten. Wer mich will, kann ja meinen Kurs am Nachmittag belegen.
    Vesper, Kersten, Hahn, Kunert, Wohmann, Rühmkorf.
    Das ist doch eigentlich ganz respektabel? Einer flüsterte mir ins Ohr:«Ihre Seminare sind zu billig! Sie könnten gut das Doppelte verlangen!»
    Vor der jeweiligen Abendveranstaltung wird Herr Pfau etwas Klavier spielen. - Aber besser nicht! Literaturinteressenten verstehen in der Regel nichts von Musik. Die stehen direkt neben dem Pianisten und quatschen.
    Ich werde als«Wirt»abends die Getränke ausgeben, das ist
eine gute Gelegenheit, mit den Leuten ins Gespräch zu kommen.
    Dorfroman: Heute habe ich die ersten Fliegen in diesem Jahr totgeschlagen.
    Eine weitere«Radiolarie»für meine Sammlung:
    Der Zaun steht vor dem Haus, in dem ich 19 Jahre meines Lebens zubrachte. Es handelt sich um einen gewöhnlichen Jägerzaun: etwa einen Meter hoch, mit fortlaufend sich kreuzenden Holzlatten. Das Ritual des Zaunstreichens wiederholte sich jährlich, und als ich alt genug dafür war, hatte auch ich meine Freude daran, den ca. 200 Meter langen Zaun zu färben. (Ein Herr)
    Am Abend noch etwas gejazzt.«Laura».
    Peter Weiss in seinen Notizbüchern:«Grass schlich böse an mir vorbei, er nimmt mir das Stück (Marat) übel.»

Nartum
Mo 13. März 1989
    Bild: Sie tötete Mutter und Schwiegermutter / Ihre Ehe war kaputt /Nach dem Doppelmord erhängte sie sich
    ND: Leipzig vereint 9000 Aussteller aus aller Welt
     
    Mitternacht. - Nein, ich werde nie aufhören mich zu wundern über mein Leben.
    Im TV ein Bericht über Demonstranten in Leipzig, die von Staatsschützern abgedrängt und gegriffen werden. Bullige Typen in Tennisschuhen mit blauen Windjacken springen in die Menge und reißen Spruchbänder herunter. Ein Stasi-Asket mit fanatischem Gesicht. Da sind die Polypen, die die Hand vors Objektiv halten, plumper. Oft Familienväter mit Thermoskanne in der Aktentasche. - Vorher war der irgendwie preußisch wirkende Geheimdienstgeneral Wolf zu sehen, wie er sich vor den lang entbehrten Westkameras wohlig ausbreitet. Ein ähnlicher Typ wie Stephan Hermlin. Wie schonend er nach allem nur möglichen
Nebensächlichen gefragt wird. - Diese Leute gab’s auch in der Nazi-Zeit, schmalköpfig, durchtrainiert wirkend, aber doch nur Stotterfurzer. Mit kleinem Hund gehen sie durch die Anlagen spazieren. Früher wären sie ausgeritten am Meer. - Das Foto von ihm in weißer Uniform, mit Fangschnüren, die doch sonst nur Adjutanten trugen. Die sorgsam sortierten Fleiß-Abzeichen an der Brust! Da war das Eiserne Kreuz doch’n anderer Schnack. Wie er es wohl bedauert hat, daß es einen so schönen Orden im Arbeiter- und Bauernstaat nicht gab. Das EK mit Hammer und Sichel statt Hakenkreuz. Das Abzeichen für gutes Wissen mit Schwertern und Brillanten.
    Halsorden haben sie nicht eingeführt. Der Hals blieb frei, Beißhemmungen provozierend.
     
    2000: Das dollste Ding waren ja

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