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Alkor - Tagebuch 1989

Titel: Alkor - Tagebuch 1989 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Bautzen erfahren, in allen Einzelheiten, denn in der Nachkriegszeit hielt sich die Aufklärung auch wegen Papiermangel in Grenzen. Auch baute sich ein Widerstand gegen Enthüllungen auf, weil darin die«führende Rolle der Kommunisten im Antifa-Kampf»ständig herausgestellt wurde. Außerdem wirkten solche Wörter wie«Nazigreuel»abstumpfend. Die Sprache dieser Leute drüben hatte etwas Verschleierndes, Abstoßendes an sich.
    Der Bericht der Buber-Neumann war es, der mich 1957 sehr bewegte. Ich schrieb ihr, aber sie antwortete nicht. Jüngst hörte man Abfälliges über sie.
    In Rotenburg, 1957, habe ich dann«mit ungläubigem Erstaunen»und«lähmendem Entsetzen», wie man es wohl ausdrücken müßte, die Tatsachen gelesen. Ich habe mich wochenlang mit nichts anderem beschäftigt. Eigentlich bewegt es mich bis heute. Vielleicht ist alles, was ich geschrieben habe, eine Antwort darauf?

Nartum
Sa 11. März 1989
    Bild: Steffi erpreßt: 139 Millionen - oder …
    ND: Kombinate wollen 89er Planziele um 2,3 Milliarden Mark überbieten

     
    T: Heute Nacht flog ich mit Zarah Leander nach Ägypten. Dort traf ich im Hotel mit Thomas Mann zusammen, er fragte mich, was ich auf unsere Lesetour nach USA mitnehme an Gepäck, er ließ sich von mir beraten.
     
    18 Besucher aus Wenningsen (Deister), ich quälte mich mit meinen Leibschmerzen. - Etwas Plankton eingesammelt.
    In den Meldungen wird nun schon seit drei Tagen hervorgehoben, daß der neue amerikanische Präsident«seine erste schwere Niederlage»erlitten habe. Die Ablehnung des von ihm vorgeschlagenen Verteidigungsministers durch den Senat.
    Sie hoffen hier anscheinend inbrünstig auf weitere Niederlagen. Kreidestriche an schwarzer Tafel. Anstatt ihm alles Gute zu wünschen.
    Aus der SU kommen täglich unglaublichste Nachrichten. Vom Marxismus spräche im Osten keiner mehr. Daß der gescheitert sei, habe inzwischen jeder mitgekriegt. Ach du lieber Gott, da müßte hier bei uns nun mancher den § 21 beantragen. Aber wo sind die Helden? Und wer nennt die Namen? Ich bin zu faul dazu, mir eine Liste zu machen und«Siehste!»zu sagen. Gaus gehört jedenfalls dazu und Bölling. Engelmann! Lattmann! Und die Evangelen. Schmude! Herrgott, wie weise sie waren. Walter Jens.
    Hoffentlich kommt keiner und sagt zu mir:«Du hattest recht …»Quasi gegen die Zeit kürt Momper in Berlin einen Koalitions-Senat mit alternativen Leuten, die sich revolutionär gebärden, zum Teil sogar vorbestraft sind. Einer hat zehn Monate im Gefängnis gesessen wegen Unterstützung der RAF. Daß das überhaupt geht?
    In einer Irrsinnsaktion löschte ich heute im Computer das ganze Register. Bupps! war’s weg. Das geht verdammt schnell. Hildegard wühlt im Garten den Wühlmäusen hinterher.

Nartum
So 12. März 1989
    Welt am Sonntag: FDP-Minister Haussmann sagte Reise in die«DDR»ab/Brief aus Bonn an Honecker:«Fortgesetzte Verletzung von Menschenrechten»
    Sonntag: Produktivkraft Kunst, Kongreß der Unterhaltungskunst. Von Peter Jastrow
     
    T: Ich kann mein Hotel nicht wiederfinden. Ein mildgrünes Wasserwehr aus Glaskugeln, über das unaufhörlich ein breiter schwarzer Strom hinuntergleitet.
     
    Heute früh sendeten sie im Radio ausgerechnet die Feuerwerksmusik von Händel. Morgens um halb acht. Sehr originell.
    Gestern in der Lit.-Sendung mit Ranicki haben sich die vier Großkopferten fast ununterbrochen angeschrien, schließlich nur noch abgewunken, sich gegenseitig also für mall erklärt. Daß R. R. immer schon zugegeben hat - wie er sagt -, früher einmal Stalinistisches geschrieben zu haben, macht eine solche Verirrung nicht ungeschehen.
    Das«Echolot»ist ein Faß ohne Boden. Gestern griff ich aufs Geratewohl einen Ordner und las mich sofort fest. Einen Sinn fürs Tickhafte haben, das ist es, und deutsches Sauerbier gar nicht erst aufkommen lassen. Das werden mir die deutschen Historiker übel nehmen, die Leser wird’s erfreuen.
    Drei Tage lang, 22 Volkshochschulleute.«Einblicke in die Werkstatt eines Autors.»Ich zeigte das Haus, so, als sei der Dichter, der hier mal gewohnt hat, längst verstorben. Ein Kanon von Erwähnungen. Den Schluß bildet immer das Archiv, oben. Ich schließe die Führung jedes Mal mit dem Aufruf, mir Tagebücher und Briefe zu besorgen, höre meistens nie wieder was.
    Vorgestern Interview mit«Brigitte»über Masken. Ich erzählte, daß ich in New Mexico 30 Masken gekauft habe und sie meiner Frau dann kaum zu zeigen gewagt hätte.
    Hildegard hört das und

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