All die schoenen Toten - Ein Inspektor-Jury-Roman
über den Dächern von Knightsbridge.
Simon Santos hatte seine Umschlagmanschetten hochgekrempelt, sein Seidenjackett lag lässig über ein Rosenholzgeländer geworfen, seine italienischen Lederschuhe glänzten spiegelblank.
Jury und Wiggins zogen gleichzeitig ihre Dienstausweise hervor, die Simon Santos offenbar ohne jegliche Überraschung in Augenschein nahm.
Und, wie Jury bemerkte, auch ohne jegliche Spur von Verärgerung.
Die Tür etwas weiter aufhaltend, sagte Santos: »Ich bin eben erst heimgekommen.«
Aber bestimmt nicht von der Arbeit, dachte Jury. Soweit er sehen konnte, machte nichts in diesem Hause den Eindruck, als hätte er im Leben auch nur einen einzigen Tag lang gearbeitet.
Santos bat sie, in einem Raum Platz zu nehmen, der doppelseitig in einer eleganten Wohnzeitschrift hätte abgebildet sein können. Ein mächtiger Kamin mit allerlei prunkvollen Messinggerätschaften, über dem das Porträt einer wahrhaft wunderschönen, in grünen Samt gewandeten Frau hing, gegen deren weiße Haut sich das kastanienrote Haar umso mehr abhob. Vor dem offenen Kamin lagen zwei schokoladenbraune Labradors,
die erhobenen Köpfe einander so ähnlich wie die Verzierungen auf einem Paar Kaminböcke. Außerdem waren sie wohlerzogen. Nach kurzer Begutachtung der Eindringlinge gähnten sie, ließen die Köpfe wieder auf die Pfoten sinken und dösten weiter. Jury streckte die Hand aus und ließ sie über den seidigen Kopf des einen Hundes gleiten, der daraufhin einen wohligen Seufzer ausstieß.
Es gab Möbel in weichem Leder und solche, die mit feinem Damast bezogen waren, dazu schweren, sich von den hohen Fenstern ergießenden dunkelgrünen Samt, der sich auf dem Boden bauschte. Jury und Wiggins saßen in Klubsesseln, aus denen sie sich, vermutete Jury, wohl nie wieder erheben würden. Es sprach doch einiges dafür, Geld zu haben.
Es war einer von diesen Räumen, die sich eigentlich nur in Geschmackskategorien beschreiben ließen: üppig, köstlich, fabelhaft, himmlisch. Das Tiefbraun der Wände und die cremefarbenen Stuckverzierungen vermittelten Jury das Gefühl, in Schokoladenmousse versunken zu sein.
»Was kann ich für Sie tun? Wie wär’s mit einem Drink?«
»Nein, danke, Mr. Santos. Wir ermitteln im Todesfall einer jungen Frau namens Mariah Cox.«
Jury sah, wie sich im attraktiven Gesicht des Mannes ein Muskel anspannte und wieder lockerte, als er den Namen hörte, der ihm anscheinend nichts sagte.
»Ich kenne niemanden mit diesem Namen.«
»Nein, aber Sie kennen – oder kannten – Stacy Storm. Das war Mariahs Künstlername, sozusagen.«
Die Anspannung kehrte zurück und erfasste nun jeden Muskel, nicht bloß den einen in seinem Gesicht. Er gewann etwas Zeit, indem er aufstand, um sich einen frischen Drink zu holen: Eiswürfelgeklinker, Siphongezisch. Dann kam er zum Sofa zurück.
Jury überlegte, ob er nun so dumm sein würde, seine Bekanntschaft mit Stacy Storm rundweg abzuleugnen.
Nein. Santos nahm ein paar Schlucke von seinem Whisky, setzte sich dann wieder hin und sagte: »Das war schrecklich. Ganz furchtbar. Ich war …« Er hatte sich vorgebeugt, das Glas riskant locker (in Anbetracht des flauschigen Teppichs darunter) zwischen den Fingern balancierend. Dann lehnte er sich zurück, um zu überlegen, was er denn nun war: »Am Boden zerstört.«
Eingehend betrachtete Jury den Gesichtsausdruck des Mannes, ob darin etwas von dieser Gefühlsregung abzulesen war, fand jedoch nichts
»Wie gut kannten Sie sie, Sir?«, wollte Wiggins schließlich wissen.
Santos lächelte verkniffen, während sein Blick zwischen Jury und Wiggins hin und her ging. »Ich nehme an, das wissen Sie, sonst wären Sie ja nicht hier.«
»Nein, eigentlich wissen wir nichts, außer dass Sie sie, äh, mehrmals bei Valentine’s als Begleitung gebucht haben.«
»Ja, das habe ich.« Sein Ton klang bitter. Er wandte sich ab.
»Uns interessiert aber, ob Sie sich auch noch anderweitig mit ihr getroffen haben. ›Außer der Reihe‹, wie Ms. Storms Freundin es ausgedrückt hat. Nicht als Begleiterin von Valentine’s.«
»Na ja, mit Valentine’s wird sie ja jetzt wohl keinen Ärger mehr bekommen.«
»Nein, mehr Ärger als jetzt ist schwer möglich.«
Santos musterte ihn erstaunt. »Das klingt, als täte sie Ihnen leid, Superintendent.«
Jury musterte ihn bloß wortlos.
»Nun gut, ja. Wir trafen uns einige Male ›außer der Reihe‹, wie Sie sagen.«
»Was meinen Sie mit ›einige Male‹?«, fragte Wiggins.
»Die letzten
Weitere Kostenlose Bücher