All die schoenen Toten - Ein Inspektor-Jury-Roman
Jury: »Was ist mit Neal Carver und Rudy Lands?«
»Mit beiden haben wir gesprochen. Dieser Lands sagte, seine Freundin sei plötzlich krank geworden. Und Carver musste offensichtlich wieder nach London zurückfahren, um seine Begleiterin in ihrer Wohnung in Chelsea abzuholen. Eine gewisse
Miss Helen Brown-Brody. Eine kleine Brünette, die das mit der Party aber völlig vergessen hatte, et cetera. Das ist nicht die Unbekannte, nach der wir suchen. Außerdem habe ich Emily Devere angerufen, die Frau, die die Leiche gefunden hat. Sie freut sich auf Ihren Besuch.«
»Die Sache bereitet ihr also genauso viel Vergnügen wie den Rexroths?«
Cummins lachte. »O ja.«
Es sei zwar demnächst Zeit zum Abendessen, teilte ihm Emily Devere mit, aber keine Sorge, auf diese Weise konnte sie ihr Cocktailstündchen verlängern, und ob er denn gern einen Drink hätte? Ihr braunweißer Hund, eine Art Kiste auf Beinen, bedachte Jury mit einem griesgrämigen Blick, der ihm riet, abzulehnen, wenn er wusste, was gut für ihn war.
Jury lehnte dankend ab. »Lassen Sie sich von mir aber nicht abhalten«, fügte er hinzu.
»Keine Sorge.« Emily Devere schenkte sich einen Whisky ein, gab klirrend einen Eiswürfel dazu und setzte sich ihm gegenüber hin. Miss Devere hatte darauf hingewiesen, dass sich ihr Haus nicht in Amersham-on-the-Hill, sondern in Amersham Old Town befand. »In der Hinsicht bin ich ein Snob. Für meinen Geschmack kann ein Ort gar nicht alt genug sein. Wie mein Whisky.« Sie hob lächelnd ihr Glas. »Manchmal komme ich mir vor wie der Junge, der den Finger in das Loch im Deich steckt. Alles Moderne drängt sich immer weiter in meine Welt hinein.«
Emily Devere ging auf die achtzig zu, besaß eine wunderschön zarte, rosige Haut und trug einen schlichten Rock und dazu eine braune Strickjacke. Ihr ergrauendes Haar war im Nacken zu einem Knoten geschlungen.
Sie saßen vorn im Wohnzimmer ihres kleinen, freundlichen Cottage an der School Lane. Das Cottage war voll mit blumigen, chintzgepolsterten Sesseln, Häkelteppichen und bestickten Fußschemelchen. Auf einem davon hatte ihr Hund sich zusammengerollt
und starrte Jury grimmig an. Das Gesicht mit den Hängebacken ließ darauf schließen, dass er teils Bulldogge war.
»Man kann den Fortschritt natürlich nicht aufhalten. Trotzdem würde ich gern einen Fuß ausstrecken und ihn zum Stolpern bringen. Diese abscheulichen Mobiltelefone! Die ganze Welt ist meine Fernsprechzelle.« Eine Hand flog an ihre Stirn.
Jury lächelte. Miss Devere verstand sich auf dramatisches Gehabe.
Genauso rasch verwandelte sie sich aber auch wieder in die nüchterne, sachliche Frau, die vor Kurzem eine Leiche gefunden hatte. »Ich hatte schon immer eine Vorliebe für dieses Pub. Ich gehe gelegentlich hin, obwohl es ja ein bisschen abgelegen ist. Über die Frau, die es übernommen hat, solange die Besitzer in Urlaub sind, kann ich nicht viel sagen. Sally Sowieso. Kommt mir ein wenig verschlagen vor.« Sie trank ihren Whisky, schürzte die Lippen. »Die ist Gott sei Dank bloß vorübergehend dort. Na, jedenfalls nehme ich Drummond gern mit auf einen Spaziergang. Den Fußweg, der an dem Bauernhof vorbeiführt, mag Drummond besonders gern.«
Drummond, dachte Jury, sah nicht so aus, als würde er sich irgendwohin gern mitnehmen lassen. Jedenfalls nicht gegen seinen Willen. »Was hat er denn gemacht?«
»Wie bitte?«
»Drummond. Als er die Leiche dieser Frau entdeckte.«
»Hmm … ob Sie’s glauben oder nicht, ich weiß es nicht. Die ganze Sache hat mich dermaßen geschockt, dass ich gar nicht drauf geachtet habe.« Sie beugte sich in ihrem Sessel vor. »Glauben Sie, er weiß etwas?«
Jury musste fast lachen. Sie meinte es ernst. »Sie hatten die Frau vorher noch nie gesehen, Miss Devere?«
»Nein, natürlich nicht. Das hätte ich doch gesagt.« Sie bettete ihren Kopf auf das kleine Kissen, das oben über ihrer Sesselkante hing und sah verwirrt hoch, als würde sich die Zimmerdecke merkwürdig benehmen.
»Ist irgendwas?«
»Nun, wie ich bereits sagte, ich glaube nicht, dass ich sie schon mal gesehen hatte. Trotzdem kam sie mir irgendwie bekannt vor.«
Jury musste an die Bemerkung des Arztes denken, »Ich könnte schwören, ich hab sie schon mal gesehen« , und an Kit Rexroths ähnlichen Eindruck.
»Das Kleid«, fuhr sie fort, »war aus apricotfarbenem Crêpe, in so einem schwingenden, luftigen Stil. Hat bestimmt eine Stange Geld gekostet. Sehr hübsch.«
»Sie sind eine gute
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