All unsere Traeume - Roman
Pint wurde auf dem Tisch abgestellt, und Ben ließ sich ihr gegenüber auf seinen Stammplatz sinken. »Her damit«, sagte er, und Romily reichte ihm das Blatt Papier. Sie sah zu, als er nach dem Bleistift griff, den Muz auf dem Tisch zurückgelassen hatte, und in Windeseile Lösungen eintrug, während er mit der linken Hand sein Bier an den Mund hob. Normalerweise würden sie beide sich längst mit den anderen Teams spöttische Wortgefechte liefern, doch alles an Bens Haltung rief: Sprecht mich nicht an! Die Stammgäste traten ihm lieber nicht zu nahe.
Ben war so gut wie nie schlecht gelaunt. Es war besser, ihn nicht zu fragen, was los war. Romily kämpfte sich durch ihr zweites Pint, das eigentlich für Ben bestimmt gewesen war. Als er das halbe Bilderrätsel ausgefüllt hatte, fragte sie tonlos: »Teamname?«
»Mir egal. Entscheide du.«
Sie kritzelte Lumbricus terrestris oben auf die Blätter – verkehrt herum auf dasjenige, das Ben gerade bearbeitete.
»Was ist das?«, fragte er.
»Regenwurm. Wir verkriechen uns.«
Er stieß ein Grunzen aus und leerte sein Glas. »Die Runde geht auf dich, weil du mir vorhin keines besorgt hast.«
»Ich …« Sie schloss den Mund. Zwecklos. Sie holte die Pints bei einer deutlich weniger ausgelassenen Liz und trug sie zum Tisch zurück.
Sie schafften ein weiteres Pint, die Allgemeinwissenrunde und einen Teil der Runde zum Tagesgeschehen, ohne ein Wort zu wechseln, und allmählich war Romily nicht nur wegen des Biers flau im Magen, sondern auch weil sie sich Sorgen machte. Als sie Ben das letzte Mal gesehen hatte, war er so glücklich gewesen. Es gab eigentlich nur eine mögliche Erklärung für einen derart gewaltigen Stimmungswechsel … aber das würde ihn doch nicht wütend machen, oder?
Vielleicht war er gar nicht wütend.
Sie betrachtete ihn genauer. Seine Augenwinkel. Sie konnte es kaum fassen, dass es ihr nicht aufgefallen war.
»Alles in Ordnung mit Claire?«, fragte sie leise. Sie ärgerte sich, dass sie es nicht schon früher bemerkt hatte.
Er schrieb John Ratzenberger zu Ende und schloss die Faust um den Bleistift. »Wir haben das Baby verloren.«
Muz stellte die nächste Frage. Romily hörte sie nicht. »Oh, Ben, das tut mir so leid«, sagte sie.
Am liebsten wäre sie aufgestanden, um den Tisch zu ihm gegangen und hätte ihn in die Arme genommen. Doch Ben und sie machten so etwas nicht. Sie bewegte die Fingerspitzen auf seine Hand zu, die den Bleistift umklammerte, und ließ ihre Hand dort ruhen, ein paar Millimeter von seinen weiß hervortretenden Knöcheln entfernt.
»Das tut mir leid«, sagte sie erneut. »Wann – wann ist es passiert?«
»Donnerstagnachmittag. Ich war auf der Baustelle. Ich war noch nicht einmal da, als es angefangen hat.«
»Ich dachte, es läuft so gut.«
»Das dachten wir alle.«
Eine Zeit lang nagte sie an ihrer Lippe herum und beobachtete ihn. Die Anspannung war aus seinem Gesicht gewichen, und seine Haut war schlaff. Er sah in sein Bierglas, als begutachte er den Schaum am Glasrand.
»Nächstes Mal wird es besser funktionieren«, sagte sie.
Er schluckte. »Das ist es ja«, sagte er. »Sie sagt, sie will es nicht mehr versuchen.«
»Was? Echt?«
»Ja. Sie will aufgeben.«
»Na ja … Sie hat den Mut verloren. Das ist verständlich. Sie braucht ein wenig Zeit, um sich zu erholen.«
»Das dachte ich auch.«
»Na, siehst du.« Sie trank von ihrem Bier und hoffte, dass das Thema damit erledigt sei.
»Aber sie behauptet, sie würde es sich nicht anders überlegen.«
»Es ist nicht aller Tage Abend.«
»So habe ich sie noch nie erlebt. Ich dringe nicht zu ihr durch. Sie hört mir einfach nicht zu.«
»Oh.«
»Ich weiß, dass es schrecklich für sie gewesen ist. Schlimmer als für mich. Das ist mir klar. Aber wie kann sie aufgeben? Dann ist doch alles für die Katz gewesen.«
»Hm.« Romily zog die Hände zurück und legte eine um ihr Pintglas. Sie ließ den Blick durch den Raum schweifen. Alle waren in das Quiz vertieft.
»Es war von Anfang an so geplant. Wir würden die Uni abschließen, wir würden heiraten. Sie würde ihr Referen dariat machen und unterrichten, während ich mich in einer Firma hocharbeite. Wir würden aufs Land ziehen und eine Familie gründen, und sie würde zu arbeiten aufhören, und ich würde mich selbstständig machen.«
»Ja.«
»Okay, es hat länger gedauert als erwartet, aber das kommt nun mal vor. Wir sind nach Plan verfahren, Schritt für Schritt. Und jetzt hat sie
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