Alle Menschen werden Schwestern
Gegenstück in unserer Männersprache.
Di e Frauen haben seit Aids mehr denn je allen Grund, zu »Hüterinnen einer strengen Geschlechtsmoral« zu werden, eben weil es bei den Männern, angeblich wegen ihres »Triebs«, so sehr mit der Treue hapert. Süssmuths Behauptung »Wer treu lebt, ist nicht « 113 stimmt ja leider nicht. Die Frau kann so treu sein, wie sie will — wenn der Partner es nicht ist, lebt sie vielleicht ungefährlicher, wenn sie ihm untreu wird und sich was Treues sucht. Übrigens stimmt auch der Slogan »Aids bekommt man nicht — Aids holt man sich« nur sehr bedingt, was teils wiederum an den triebgeplagten Männern l ie gt: In der Bundesrepublik vergewaltigt alle zwei Minuten einer von ihnen eine Frau, die er dabei vielleicht infiziert — schließlich gibt es kaum einen »verletzungsträchtigeren Sexualverkehr« 114 .
Der Begriff »Treue« ist durch die Aidsdiskussion arg heruntergekommen früher bedeutete Treue »sexuellen Versuchungen widerstehen, und zwar aus Liebe zur Partnerin oder zum Partner, aus Rücksichtnahme, um sie/ihn nicht zu verletzen«. Die häufigsten tatsächlichen Motive für sexuelle Treue waren schon immer »niedrigerer« Art; bei Frauen waren es meist ökonomische und/oder Prestigegründe, die für Männer wegen der Doppelmoral und ihrer ökonomischen Unabhängigkeit ja entfielen, weshalb Männer denn auch in aller Regel nicht treu waren. Trotzdem — das »romantische, edle« Konzept von Treue hat sich bis vor kurzem halten können, wahrscheinlich, weil weibliche Realität bisher kaum »zur Sprache gekommen« ist. »Treue« aus hygienischen Gründen, quasi als Desinfektionsmaßnahme — diese Bedeutung gibt es erst seit Aids.
7 Ruhe sanft!
Die respektlose Entsorgungs-Frage der Emma , »Wohin mit dem Ding ?« , ist noch ziemlich zahm. Zwar suggeriert sie einerseits tapfer die Entbehrlichkeit — , ja Lästigkeit des »Dings« 115 , andererseits setzt sie aber noch immer voraus, daß es irgendwohin müsse, und will nur wissen: Wohin denn genau? Aber wir leben nicht nur im Zeitalter massenhafter Vergewaltigungen von Frauen und Mädchen bis hin zu weiblichen Säuglingen, sondern im Zeitalter von Aids. Die Frage sollte also lauten: Muß »das Ding« überhaupt irgendwohin? Würden wir vielleicht über einen Körperteil wie die Nase fragen: »Wohin mit dem Ding ?« Wieso kann das Ding, statt in anderen Körpern tödliche Schäden anzurichten, nicht einfach da bleiben, wo es ist?
1987-89
Das Schmettern des Schweizer Gockels: Über Niklaus Meienberg
Das Ganze ist das Wahre.
G. W. F. Hegel 116
Der Stil ist die Person.
N. Meienberg 117
[Ein] Journalismus, der in seinem Stil das zerstört, was er erreichen will, nämlich Aufklärung.
N. Meienberg 118
Boston, 20. November 1987
Etwa tausend Seiten Meienberg habe ich hier in den letzten zwei Wochen gelesen, statt mir diese aufregende Stadt anzusehen. Wie läßt sich solche Zeitverschwendung rechtfertigen? Eigentlich lese ich seit Jahren möglichst keine Manneswerke mehr, möchte wenigstens die reifere Hälfte meines Lebens dem Studium der Werke von Frauen widmen, nachdem ich die erste Hälfte mit Männerkram vertun mußte — und nun auch noch Meienberg satt! Wie konnte es dazu kommen?
Es kam so: Im August fragte mich Barbara Lukesch, eine der beiden HerausgeberInnen dieses Buches 119 , ob ich bei ihrem Unternehmen mitmachen würde. Ich gestand ihr, ich wäre bestimmt nicht die Richtige, hätte ich doch von Meienberg noch nie was gehört, geschweige denn gelesen. Darauf sie: Meienberg sei ein sehr bekannter Journalist, sehr kontrovers, von vielen gehaßt, von noch mehr Leuten bewundert, bei etlichen Zeitungen rausgeflogen wegen seiner radikalen Texte, kurz, ein Schweizer PHÄNOMEN! Ob ich das Phänomen, aus feministisch-linguistischer Sicht, nicht mal genauer untersuchen wolle. Da sie mir ein gutes Honorar anbot und versprach, mir die wichtigsten Bücher von ihm zu schicken, habe ich schließlich zugesagt.
Postwendend kamen dann auch vier Bücher, und zwar folgende:
• Das Schmettern des gallischen Hahns: Reportagen aus Frankreich (1987, eine Sammlung von Artikeln aus der Zeit Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre) [im folgenden zitiert als >Frkr .< ]
• Reportagen aus der Schweiz (1975) [im folgenden: >Schwz.<]
• Vorspiegelung wahrer Tatsachen (1983) [= >Tats.<]
• Der wissenschaftliche Spazierstock (1985) [= >Spaz.<]
[Alle Bücher sind im Limmat Verlag, Zürich, erschienen.]
Diese vier
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