Alle Menschen werden Schwestern
Bedeutung männlicher Ausdrücke dann nicht anzunehmen sein, wenn es um Dinge geht, die Frauen nicht zukommen, wie beispielsweise die Übernahme öffentlicher Ämter oder die Ausübung einer Richtertätigkeit [...]. Hier würde der männliche Begriff nämlich auf etwas Unpassendes bezogen: »generalis sermo (ut aiunt) impropriatur« [...]. Eine weitere Begründung für diese Ausnahme von seiner sonst so fest vertretenen Regel gibt Goddaeus nicht, ihre Richtigkeit versteht sich offensichtlich von selbst. [...]
Abgeschlossen wird die Kommentierung [...] mit einer Klarstellung. Aus der Tatsache, daß sich männliche Begriffe regelmäßig auch auf Frauen erstrecken, kann keineswegs auf eine entsprechende Bedeutung weiblicher Begriffe geschlossen werden: »Foeminino sermone sexus masculinus neque proprietate neque per aliquam interpretationem continetur« 29 [...]. Die Frage, weshalb es zu so nachteiligen Folgen führen würde, wenn unter einem weiblichen Wort auch Männer begriffen würden, hatten [andere] mit dem Hinweis auf den in der Antike damit verbundenen Spott beantwortet. [...] Goddaeus sieht nun die Gefährlichkeit einer solchen Begriffserweiterung nicht in möglichen Assoziationen an diese frühere Spöttelei, sondern in Gründen, die in der Natur der Sache liegen. Dem männlichen Geschlecht steht das ius defensionis [...], das imperium domesticum zu, es ist »in omni rerum genere [...] principium, et perfectior creatura« […]. 30 Wenn man nun unter eine weibliche Bezeichnung auch Männer fallen ließe, gestünde man dem unwürdigeren und unvollständigeren Geschlecht zu, was allein dem hervorragenderen und vollständigeren zukommt. Man mache damit die Frau »contra omnem [...] rationem politicam, oeconomicam et physicam« 31 [...] zum Haupt des Mannes. [...] Goddaeus sieht hier wohl die Umwälzung der natürlichen Weltordnung sprachlich vorbereitet. (Koch 1982: 177f.)
Die geheimnisvolle Fähigkeit männlicher Bezeichnungen, Frauen einzuschließen [und auszuschließen, wenn es um Privilegien geht], ist mithin kein »sprachliches Naturereignis«, als was sie uns von der Maskulinguistik verkauft wird, sondern beruht auf männlichen Festlegungen zwecks Kräftigung des Dogmas von der »natürlichen Höherwertigkeit und Überlegenheit« des Mannes. Für Frauen besteht also kein Grund, an die »Unschuld« der Männer und an eine »Schuld der Sprache« in dieser Sache zu glauben, und erst recht kein Grund, diese männlichen Sprachregelungen auch noch zu befolgen und damit das Dogma unserer Minderwertigkeit festzuschreiben.
Vielmehr müssen wir, das dürfte nach diesem Ausflug in die Geschichte klar sein, den Gebrauch männlicher Bezeichnungen für das weibliche Geschlecht ablehnen und verweigern. Diese Verweigerung wird, wenn sie konsequent ist, die Selbstverallgemeinerungsanmaßung, den Stellvertretungsanspruch der Männer automatisch eindämmen: Wenn Frauen auf dem Femininum bestehen, machen wir damit das Maskulinum geschlechtsspezifisch: In Ausdrücken wie Kolleginnen und Kollegen ist Kollegen geschlechtsspezifisch, bezieht sich nur auf Männer. Wenn maskuline Bezeichnungen sich nur noch auf Männer beziehen können, sind sie, per definitionem, nur noch geschlechtsspezifisch und nicht mehr »auch geschlechtsneutral«, wie bisher über sie behauptet wird. Sie bekommen damit den gleichen Status wie die weiblichen Bezeichnungen, die auch nicht »neutral« für das andere, männliche Geschlecht stehen können. 32
Mit anderen Worten: Dadurch, daß wir unseren Bereich sprachlich ausdehnen und sichern, erreichen wir, daß die Männer nicht mehr das ganze Gebiet besetzt halten, sondern nur die eine Hälfte, die ihnen zusteht.
Wenn durch eine derartige Sprachpolitik beide Geschlechter ihr eigenes sprachliches Terrain haben, wird offenkundig sein, daß Sätze wie Sie ist Kaufmann genauso metaphorisch und »uneigentlich« sind wie Er ist Waschfrau. Solche Sätze können nämlich nur genauso lange als normal gelten, wie wir sie uns zumuten lassen, nur solange wir mitmachen bei dem unfairen Spiel, dessen Regeln allein die Männer aufgestellt haben [s.o. das Eherecht und Herrn Goddaeus].
Um zu zeigen, wie hermaphroditisch und diffus der Diskurs über Frauen unter den noch herrschenden »semantischen Bedingungen« ist, wie sehr dieser »Jargon der Uneigentlichkeit« einem Herumtappen zwischen realistischer und metaphorischer Rede gleicht — und gleichen muß, habe ich aus meiner Sammlung von rund 100 Hermaphroditen 50
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