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Alle Menschen werden Schwestern

Alle Menschen werden Schwestern

Titel: Alle Menschen werden Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luise F. Pusch
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Heiliger.
    (2) Mein Onkel Franz war ein Heiliger.

    In Satz (2) wird ein Heiliger metaphorisch gebraucht. Onkel Franz mag zwar sämtliche Eigenschaften mit dem heiligen Franziskus gemeinsam gehabt haben; es fehlt ihm aber ein wesentliches, das definierende Merkmal: Die offizielle Heiligsprechung durch die katholische Kirche.
    Auch in den folgenden Sätzen werden die weiblichen Bezeichnungen metaphorisch gebraucht:

    (3) Ich war eine männliche Kriegsbraut. (Filmtitel)
    (4) Der Militärdienstverweigerer Karlheinz Maurer [...] wird dort als Mädchen für alles eingesetzt [...] (tele 3/1980, S. 35)
    (5) [...] Stans Marineerinnerungen [...]: [...] nach herzlichem Abschied von seinen Eltern [wurde er] gleich als Waschfrau eingestellt. (tele 1/1980, S. 64)
    (6) »Was ich bin? Eine Hebamme der Musik.« (Schallplattenproduzent Walter Legge in einem Radio-Interview, 1974)

    Der »männlichen Kriegsbraut«, dem »männlichen Mädchen für alles«, der »männlichen Waschfrau« und der »männlichen Hebamme« fehlt ebenfalls die entscheidende Eigenschaft: Weiblichkeit. Die Sätze sind rein metaphorisch gemeint und zu verstehen.
    Ähnliches gilt, mit umgekehrtem Vorzeichen natürlich, für folgende Beispiele:

    (7) Jenny Grey ist eine so ausgeprägte Pferdenärrin, daß sie sich einen Job als »Stallbursche« in einem Rennstall sucht. (tele 44/1979, S. 80)
    (8) Die Probleme einer Frau, die »Zimmermann« wurde (Schlagzeile in tele 1/1980, S. 40)

    Was ist nun aber von unserem gängigen Sprachgebrauch zu halten, wonach Frauen »Industriekaufmann« oder »Amtmann« sind? Ich behaupte, es handelt sich auch hier um reine Metaphern, wenn diese Behauptung auch der herrschenden linguistischen Lehre widerspricht. Diese stützt sich nicht auf empirische Analysen sprachlichen Materials, etwa solcher Erscheinungen wie der Hermaphrodite, sondern auf männliche »Intuition« und besagt, die maskulinen Funktionsbezeichnungen seien, im Gegensatz zu den aus ihnen abgeleiteten (movierten) Feminina, »geschlechtsneutral«, »unmarkiert« hinsichtlich des Merkmals »Geschlecht«. Während also ein Satz wie Er ist Waschfrau nur metaphorisch gemeint sein kann, sollen Sätze wie Sie ist Diplomkaufmann »normal«, nicht-metaphorisch, nicht-figurativ sein, und zwar dank jener mystischen Eigenschaft männlicher Bezeichnungen, das weibliche Geschlecht gleichsam zu inkorporieren. Vor gar nicht langer Zeit war dies eine Eigenschaft nicht nur der männlichen Bezeichnungen, sondern der Männer selbst — so wollte es jedenfalls das Eherecht, das Männer erlassen hatten:

    Durch die Ehe sind Mann und Frau vor dem Gesetz eine Person:
    Das heißt, die Existenz an sich, also die rechtliche Existenz der Frau, ist während der Ehe aufgehoben oder zumindest in die des Mannes inkorporiert [...] [m. H.] 28

    Wie sagt doch der Junggeselle Kant: »alles Frauenzimmer ist [...] gleichsam nur Inhärenz.« Nur die Bezeichnungen für Männer (in der Regel maskuline Personenbezeichnungen) sind »ausdehnbar« auf beide Geschlechter. Die Bezeichnungen für Frauen sind nicht verallgemeinerbar, ausdehnbar. Das männliche Geschlecht besitzt also sprachlich die Möglichkeit der Selbstverallgemeinerung, welche dem weiblichen Geschlecht (ein für allemal?) versagt ist:
    ALLE MENSCHEN WERDEN BRÜDER! — ALLE MENSCHEN WERDEN SCHWESTERN!?? Niemals!
    Heutzutage wird dies Vorrecht der Selbstverallgemeinerung männlicherseits nicht mehr begründet, sondern nur noch festgestellt: »Es ist nun einmal so, >die Sprache< will es so, leider, leider. Wir würden es ja, geborene Kavaliere, die wir sind, gerne anders machen, aber was sollen wir denn tun?«
    Angesichts solcher Unschuldsbeteuerungen hilft am besten ein Blick zurück, in die Geschichte. Es gab auch Zeiten, wo Männer sich noch bemüßigt fühlten, für ihre Vorherrschaft in der Sprache Erklärungen abzugeben. Und diese Erklärungen sind sehr aufschlußreich.
    Die Rechtshistorikerin Elisabeth Koch hat in ihrem Aufsatz »Vom Versuch, die Frage >ob die Weiber Menschen sein, oder nicht<, aus den Digesten zu beantworten« (1982) einen Digesten-Kommentar des Marburger Professors der Rechte Johannes Goddaeus (1555-1632) analysiert. Ich zitiere aus ihrem Aufsatz einige unser Problem betreffende Passagen:

    Inhaltlich aufschlußreich sind dagegen noch die zwei Ausnahmen, in denen Goddaeus eine Durchbrechung seiner Regel über den Umfang männlicher Ausdrücke zuläßt. Erstens soll die weite, auch das weibliche Geschlecht einschließende

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