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Alle Menschen werden Schwestern

Alle Menschen werden Schwestern

Titel: Alle Menschen werden Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luise F. Pusch
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nicht Kanzler werden, sondern nur Kanzlerin, Dirigentin, Päpstin usw. — aus rein grammatischen Gründen. Es erinnert ein bißchen an Morgensterns Wiesel auf dem Kiesel im Bachgeriesel, das dort »des Reimes wegen« gesessen haben soll. Entsprechend hätte ich »der Grammatik wegen« nur Schusterin werden können. Die Kongruenzregel wurde in den hier zusammengestellten Belegen, den Hermaphroditen, permanent verletzt. Ohne Verletzung der Kongruenzregel keine Hermaphrodite, sozusagen. Die Hermaphroditen (41) und (42) hätten, wäre die Kongruenzregel befolgt worden, folgende Form gehabt:

    (41 a) [...] sie war nämlich die Schwierige , die Rebellin .
    (42 a) Ich sehe mich nicht als Prophetin oder Agitatorin , ich sehe mich eher als Chronistin .

    Wir sollten die Kongruenzregel wiederbeleben und einsetzen, wo immer es geht. Sie bietet uns eine elegante Möglichkeit zur Schaffung weiblicher Realität — sogar aus dem Nichts. Früher hieß es beispielsweise die Kirche als Grundherrin , einfach aus Gründen der Grammatik, die sich bis weit ins 19. Jahrhundert nach den Regeln des Lateinischen richtete. Weil die Kirche Femininum ist, wurde aus dem Herrn eine Herrin, obwohl es Grundherrinnen in Wirklichkeit kaum gab. Es hieß Amicitia est virtutum adiutrix [Die Freundschaft ist die Helferin der Tugenden], historia vitae magistra [die Geschichte ist die Lehrmeisterin des Lebens], ja sogar Athenae omnium doctrinarum inventrices fuerunt [Athen war die Erfinderin aller Lehren (wörtlich: die Erfinderinnen, denn Athenae ist Fern. Plural)]. Die folgenden Beispiele orientieren sich an diesen alten Vorbildern:

    Vorübergehend nahm die Bank deutscher Länder die Funktion als Münzherrin wahr [...] (Schön 1971: 82)
    Die Käuferin , eine Treuhandgesellschaft, verkaufte sofort weiter. (Boveri 1977: 85)
    Die katholische Kirche in ihrer Funktion als Bewahrerin der polnischen Nation [...] (WDR-Hörfunk, 22. 8. 1984) [Mathilde von Tuszien] bestimmte die Kirche zur Universalerbin [...] der»Mathildischen Güter«[…] ( Große Frauen, S. 325)
    [...] die Sowjetunion [...] [versteht sich] als die konsequenteste und machtvollste Kämpferin für die Verwirklichung des Erbes von Karl Marx [...] (Mertes 1983: 28)
    Die Bundesregierung als derzeitige EG-Präsidentin [...] (WDR-Nachrichten, 9. 4. 1983)

    Seit Anfang des 20. Jahrhunderts orientiert mann sich allerdings mehr an »der Wirklichkeit« als an der Grammatik. Es heißt heute eher Die Universität ist der größte Arbeitgeber am Ort. Nicht Arbeitgeberin, denn Arbeitgeberinnen — gibt’s die überhaupt?
    Feministinnen aber haben die alte Kongruenzregel begeistert aufgegriffen und wenden sie gerne an:

    Ich fühlte mich von vielen gehört, viele hatten mich verstanden, vielen hatte mein Buch geholfen — diese Resonanz war eine Energiespenderin für dieses Buch. (Trömel-Plötz 1984: 12)

    Damit nicht genug, werden mittels der »feministisch motivierten Motion« immer mehr Schwestern »einfach so« erschaffen:

    Ratgeberin für Hungerstreikerinnen. (Kapitelüberschrift in Hannelore Schröders Buchmanuskript der Dokumentation ihres Hungerstreiks)
    Veranstalterin : Frauenzentrum Baden (Flugblatt zur Ankündigung eines Vortrags, Mai 1984, Baden b. Zürich)

    Literaturpäpstinnen, Energiespenderinnen, Ratgeberinnen, Klassikerinnen und unzählige andere spannende weibliche Gestalten fallen uns, wie gesagt, nicht in den Schoß — aber wir können sie uns einfallen lassen und sie mitten im »wirklichen Leben« aufstellen neben all den Mannsbildern...

    1984-89

Lila Lotta Lesbeton
Die Kinder der Frauenbewegung und ihre Namen

1 Die Geburt der Daphne:
Ein Briefwechsel im Jahre 1984

    (Susanne an Luise)
    [...] Im übrigen hat mich vorgestern die wilde Mänade gebissen und ICH HABE EINEN VERLAG GEGRÜNDET!!!!!!!!
    Ist das nicht toll??? Gewerbeschein etc. habe ich schon, aber ich bitte Euch herzlich, mir bei der Namensfindung zu helfen. AMOROSA hätte mir gut gefallen, aber das klingt >sub rosa< zu ähnlich. Im Untertitel soll das Ding jedenfalls etwa heißen: >Verlag für weibliche Lust und Geschichte< [...]

    (Luise an Susanne in Göttingen)
    Wie schön, daß Du inmitten von 3400 Göttinnen wohnst! Wär das nicht auch ein schöner Name für Deinen Verlag:
    Verlag 3400 Göttinnen
    Amorosa finde ich, abgesehen vom Anklang an sub rosa, auch etwas zu himbeerfarben. Ich hab nicht viel Zeit; hier ein vorläufiges Ergebnis des Taufpatinspiels, nur so: Verlag Kesse Motte, Wilde Hummel, Die Zaubermuschel,

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