Alle Menschen werden Schwestern
zwischen meinem netten reichen Onkel und meiner Freundin, die von der Arbeitslosenhilfe lebt, aufzuteilen? Oder sollte ich ihm gerechterweise gar nichts geben und ihr die ganze Summe? Anderes Beispiel: Stellen wir uns einen übergewichtigen Menschen und einen unterernährten vor. Es wäre nicht nur ungerecht, sondern für die übergewichtige Person auch ungesund, ihr ebensoviel Nahrung zu geben wie die unterernährte Person benötigt.
Auf die Sprache übertragen, bedeutet das: Wenn es unser Ziel ist, unsere Position und dadurch uns selbst zu stärken — warum sollten wir nicht ein wenig bei Männern in die Lehre gehen? Offenbar waren ja ihre Strategien zur Stärkung des eigenen Selbstbewußtseins sehr erfolgreich. Eine ihrer Maßnahmen war das »generische Maskulinum«. Diese Selbstvergrößerungsdroge funktioniert offenbar hervorragend. Warum sollten wir uns nur eine halb so starke Nahrung gönnen?
Es besteht kein Zweifel daran, daß die Frau sprachlich (natürlich auch in jeder anderen Hinsicht) extrem benachteiligt ist. Was ihr zusteht und was sie braucht, ist nicht Gleich-, sondern Besserbehandlung, kompensatorische Gerechtigkeit, eine gezielte und umfassende »affirmative action«. Der Mann hingegen braucht dringend eine »Abmagerungskur« zur Therapie seines immer gefährlicher werdenden Größenwahns. Außerdem braucht er Einfühlungstraining. Es wird ihm guttun, es im eigenen Gemüt zu erleben, wie es sich anfühlt, mitgemeint zu sein, sprachlich dem anderen Geschlecht zugezählt zu werden, diesen ständigen Identitätsverlust hinzunehmen. Wir werden ihm immer wieder mütterlich und geduldig versichern, er sei natürlich mitgemeint, eingeschlossen — aber solche Mitteilungen werden höchstens intellektuell verarbeitet, das Gefühl reagiert anders (als Frauen haben wir da unsere Erfahrungen machen können). Und dieses Gefühl muß der Mann erlebt haben, um die Notwendigkeit einer grundlegenden Sprachreform zu begreifen.
Die bisherigen sprachtherapeutischen Maßnahmen (Splitting-Empfehlungen, Runderlasse zur Abschaffung des generischen Maskulinums) hatten nur einen geringen Effekt, der etwa mit dem des neuen Namensrechts vergleichbar ist. Seit 1976 kann in der BRD auch der Name der Frau als Familienname gewählt werden. Wenn beide Geschlechter »gleiche« wären, hätten in den letzten zehn Jahren genau 50% der Männer bei Eheschließung ihren Namen ändern (»feminisiert werden«) müssen. Es waren aber nur 2%. Für das Namensrecht hätte es also zur Herstellung des Gleichgewichts eines kompensatorischen Gesetzes bedurft: »Ab sofort wird der Name der Frau zum Ehenamen.« Die normative Kraft des Faktischen hätte dann im Laufe der Zeit den Ausgleich bewirkt. Aber: Die Gesetzgeber waren Männer — und sie werden sich nicht selbst »entpatrifizieren«.
4 Schlußbemerkung
Ich bin überzeugt, daß die Strategie, die ich skizziert habe, die einzig erfolgversprechende zur Herstellung sprachlicher Gleichberechtigung ist. Genauso überzeugt bin ich davon, daß sich nur wenige meiner Meinung anschließen und noch weniger diese Strategie-Überlegungen in die Praxis umsetzen werden. Die praktischen Auswirkungen des neuen Namensrechts sind zu ernüchternd, als daß ich mich Illusionen hingeben könnte: Ganz offensichtlich mögen Frauen in der Regel den Männern die Feminisierung nicht antun/zumuten; die Angst vor herrischen Reaktionen ist ja auch sehr begründet. Trotzdem versuche ich weiter, diese Ideen zu verbreiten, denn immerhin ist die Sache einen Versuch wert, weil sie Spaß macht, erkenntnisfördernd ist und das weibliche Selbstbewußtsein kräftigt: Frauen, die konsequent das umfassende Femininum verwenden, empfinden dies als sehr lustvoll — auch weil die Reaktionen der Männer auf diese Strategie so komisch und entlarvend sind.
Mit diesen Worten beschloß ich 1986 meinen Aufsatz. Jetzt, Anfang 1989, bin ich nicht mehr so skeptisch. Die Totale Feminisierung wurde von vielen Frauen begeistert aufgegriffen und immer weiter verbreitet, so z.B. von den Grünen im Niedersächsischen Landtag, die 1988 diese bis vor kurzem noch als absurd abgetane Idee hochoffiziell in ihren Entwurf für ein neues Sprach-gesetz einbrachten. Dies ermutigende Beispiel steht hier für viele ähnliche, die ich in den letzten drei Jahren, seit der ersten Niederschrift dieses Artikels, erlebt habe. Und wichtige alternative Zeitungen wie die tax und die Schweizer WoZ praktizieren inzwischen »das große I mitten im Wort«, also die
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