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Alle Menschen werden Schwestern

Alle Menschen werden Schwestern

Titel: Alle Menschen werden Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luise F. Pusch
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Propaganda für weibliche Homosexualität und gegen das koitale Nachspiel beim heterosexuellen Verkehr. Aber schon nichtdiskriminierende, also fair und gleichbehandelnde Aufklärung wäre ein wichtiger Schritt in die ethisch seit Urzeiten und gesundheitspolitisch spätestens seit Aids gebotene Richtung.
    Was haben nun diese Überlegungen mit Sprache zu tun?
    Ich habe oben anhand des Beispiels ansteckende Krankheit angedeutet, wie unsere mit bestimmten Wörtern traditionell verbundenen Vorstellungen unser Handeln in einer Richtung beeinflussen können, die der Sache absolut schadet. Der »Prototyp« 101 einer ansteckenden Krankheit ist sicher die Grippe, und nach diesem Modell werden jetzt auch die ansteckende Krankheit Aids und die Aidskranken und — infizierten beurteilt und behandelt. Die Folgen für die noch Gesunden sind nicht abzusehen — wahrscheinlich sind sie tödlich. Weil bei positivem Ausfall des Tests nicht Hilfe und Solidarität zu erwarten sind, sondern der gesellschaftliche Tod lange vor dem physischen, wird der Test unterlassen — was das für die noch Gesunden bedeutet, ist bekannt.
    Der Prototyp des Menschen ist der Mann, das läßt sich linguistisch leicht nachweisen. 102 In dieser Tatsache liegt das Elend unserer Kultur begründet und damit auch das Elend der Sexualität. Die prototypische Sexualität ist die männliche — ihr wird die weibliche maßgerecht angepaßt und hat schon allerlei Moden mitgemacht. Was weibliche Sexualität wirklich ist oder sein könnte, wissen wir nicht — es ist bisher nicht zur Sprache gekommen und daher auch nicht in unser Bewußtsein gedrungen. Im vorigen Jahrhundert hatte die Frau gefälligst allem Sexuellen abhold zu sein, in diesem Jahrhundert ist das Gegenteil angesagt, soll sie »befreit« sein, frei und allzeit bereit für ihn natürlich, zuerst in den »wilden zwanziger Jahren« und ganz besonders seit der männlichen Erfindung der Pille. Nachzulesen in Jeffreys’ (1985) aufrüttelnder Geschichte der Sexualität aus feministischer Sicht. Frau muß verwundert feststellen, daß alles schon mal dagewesen ist. Vor hundert Jahren sollten die Prostituierten schon einmal einem Zwangstest unterzogen werden — damals ging es um die Syphilis. Die Feministinnen protestierten scharf, vor allem gegen den Mythos des »unkontrollierbaren männlichen Geschlechtstriebs«. Sie plädierten für Umerziehung des männlichen Geschlechts, die alsdann die Prostitution überflüssig machen würde.
    Tödlich für viele Frauen und Mädchen ist diese in unserer Männersprache verankerte Vorstellung von Sexualität = Penetration, und das durchaus nicht erst seit Aids, sondern seit Jahrtausenden: Tod im Kindbett, durch zahllose Schwangerschaften, durch Abtreibungen, Vergewaltigung, Lustmord, Tod als Spätfolge der Pille. 103 Mann hat ein »Naturrecht« auf die Befriedigung seines »Triebs«; die Folgen trägt sie. Hier ein aktuelles Beispiel für diese Denkweise — geschrieben von einer Frau:

    Sorgen allerdings bereiten den Fachleuten die halbwüchsigen Virusträger, fast ausschließlich Jungen, da die von den Müttern weitergegebene Erbkrankheit in der Regel nur bei Söhnen in Erscheinung tritt. Sie stehen am Anfang ihrer sexuellen Entwicklung und hungern wie gleichaltrige Jungen auch nach Erfahrungen: »Eine totale Tragik«, so Belohradsky, »ich habe da keine Lösung.«
    Die infizierten Teenager sollten sich, wenn alles knutscht, beim Küssen zurückhalten und nur ein Bussi geben. Aber so ein gehauchter Kuß gilt eben nicht viel, so hörte Kurme, der immer wieder mit seinen Jungen die Details durchsprach. Sie sollten aus Fairneß ihre kleinen Freundinnen aufklären, bevor sie mit ihnen schliefen, aber wenn sie das taten, voller Überschwang und »aus lauter Liebe«, wie manche meinten, dann war mit der Liebe nicht mehr viel los, und die Mädchen liefen ihnen panisch davon. 104

    »Totale Tragik«, sagt der Mann einfühlsam über seine armen Geschlechtsgenossen — und die Frau protestiert nicht. Sie selbst ist ja der Meinung, daß diese halbwüchsigen aidsinfizierten Jungen »nach Erfahrungen hungern«. Die Metaphorik ist aufschlußreich: Wer wird denn so unmenschlich sein, einem »Hungernden« das Recht auf »Nahrung« abzusprechen! Die Journalistin, offenbar unfähig (gemacht) zur Einfühlung in ihr eigenes Geschlecht wie die meisten Frauen, protestiert nicht einmal gegen den mörderischen Rat des anderen einfühlsamen Mannes, »sie sollten aus Fairneß ihre kleinen

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