Alle Menschen werden Schwestern
dabei Notizen gemacht. Ich habe auch alle Stellen am Rand markiert, die von Frauen handeln — aber da gab es nicht viel zu markieren, denn Meienberg zeichnet sich eben dadurch aus, daß Frauen bei ihm kaum vorkommen. In letzter Zeit, seit er für die Wochenzeitung schreibt, hat sich das ein wenig gebessert, aber die beiden ersten Bände mit den globalen Titeln »Reportagen aus Frankreich/der Schweiz« — Länder, in denen meines Wissens auch die Mehrheit der Bevölkerung aus Frauen besteht — befassen sich nahezu ausschließlich mit der männlichen Minderheit und sind schon deshalb unbrauchbar: Thema verfehlt. Würde ich mir etwa ein Buch namens Die Schweiz kaufen, in dem die Hälfte dieses Landes vergessen wurde, sagen wir mal, die deutsche Schweiz?! Ich käme wohl auch kaum in die Verlegenheit, denn ein so kurioses Buch würde gar nicht erst gedruckt. Meienberg aber wird gedruckt, nicht nur in Zeitungen; die Artikel werden auch noch in Büchern wiederaufbereitet. Es scheint also der Mehrheit seiner Leserinnen nicht aufzufallen, daß bei ihm die Mehrheit fehlt. Es ist ja auch nichts Besonderes: Die meisten Zeitungsartikel und Bücher sind so, schließlich leben wir im Patriarchat. Weshalb also gerade Meienberg seine Männerfixiertheit zum Vorwurf machen?
Wir sind allzumal Sünder, heißt es, aber wenn der Herr Pfarrer sündigt oder der Papst, wird das nicht so leicht vergeben. Die meisten von uns können nicht Klavier spielen, aber wenn ich 30 Franken für einen Klavierabend bezahlt habe, erwarte ich schon, daß die Frau am Flügel auch spielen kann. Und von einem selbsternannten Anwalt der Unterdrückten, wie Meienberg einer ist, erwarte ich auch eine gewisse Sensibilität für Unterdrückung in all ihren Formen. Die wahrhaft Unterdrückten dieser Erde sind bekanntlich die Frauen. Laut offizieller Statistik der UN aus dem Jahre 1980 leisten wir weltweit zwei Drittel der Arbeit, bekommen dafür ein Zehntel des Lohns und besitzen genau ein Prozent des Weltvermögens. Die restlichen 99 Prozent des Vermögens sind im Besitz von Männern.
Daß Meienberg die Ausbeutung der Frau durch den Mann ignoriert, ist peinlich genug — vollends unerträglich aber wird der Widerspruch zwischen ethischem Anspruch und journalistischer Praxis, wenn Meienberg diese eigentlich Unterdrückten auch noch diffamiert.
Die adretten Huren sind alle rassistisch
Hier ein paar besonders widerliche Kostproben — das Elend der Prostituierten aus der Sicht eines Benutzers:
Je weiter unten in der Gesellschaft sich einer [sic] befindet, desto rassistischer pflegt er [sic] zu sein. Die Huren von der Rue Saint-Denis in Paris zum Beispiel, die sich noch mit dem letzten Clochard ins Bett legen, verweigern den Verkehr mit den Algeriern: weil diese sexuell so ausgehungert sind, daß sie immer so furchtbar lange bleiben möchten. Und außerdem verlangen sie oft Analverkehr, was eine ehrliche französische Hure nicht gewohnt ist. Halt ein sozio-kultureller Unterschied. (Frkr. 95)
Die französischen »Huren« lehnen unbezahlte Überstunden ab sowie Gefahren und Schmerzen des »ungewohnten« Analverkehrs. Das nennt Meienberg »rassistisch« — er mag diesen Ausdruck:
Die Familie [der Kabylen-Männer] ist meist in Algerien geblieben. Ihre Sexualnot ist dementsprechend. Keine Rede davon, daß sie eine französische Freundin haben können. Unmöglich auch, mit den adretten Huren der Rue St-Denis zu schlafen, denn die sind alle rassistisch. Also gehen sie ins Araberbordell [...] (zwanzig Francs), und das ist kein ungetrübter Genuß. Man muß sie sehen, wie sie Schlange stehen vor dem traurigen Puff. (Frkr. 23 f.)
Keine Rede davon, wie die in Algerien zurückgelassenen Frauen der armen Kabylen mit ihrer »Sexualnot« oder mit der Untreue ihrer Gatten zurechtkommen mögen. Frauen in islamischen Ländern haben bekanntlich gar nichts zu melden, also meldet denn auch Reporter Meienberg uns nichts über diese exotische Spezies, außer: »Wenn eine Frau in festen Händen ist (verheiratet oder in regulärem Konkubinat lebend), wird sie am Kinn mit einem blauen Streifen tätowiert.« (Frkr. 23) Keine Rede auch davon, wie es um die »Huren« in dem »traurigen Puff« bestellt ist. Was ist wohl schlimmer — Schlange zu stehen vor einem Puff, oder aber in so einem Puff eingesperrt zu sein und die Schlange [!] von »sexuell ausgehungerten« Kabylen, die »immer so furchtbar lange bleiben wollen«, mit Analverkehr bedienen zu müssen, für zwanzig Francs (die
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