Alle Menschen werden Schwestern
sitzt. Plötzlich erscheint die Kinderfrau in den Kulissen und gibt Clara aufgeregte Zeichen, stopft sich den Daumen in den Mund, lutscht. Clara lächelt nervös, spielt aber weiter. Die Mutter vor einer unlösbaren Aufgabe: Sie soll die Werke des Gatten zum Klingen und gleichzeitig den störend brüllenden Sprößling zum Schweigen bringen, stillen.
Die Zeichensprache der Kinderfrau [wir sehen es deutlich: auch sie bleibt still !] wird immer dringlicher. Robert im Publikum wird auch nervös — Clara hat anscheinend sein Werk mutwillig gekürzt, ganze Teile ausgelassen.
Schlußakkord, tosender Beifall. Clara dankt es dem Publikum kaum, sondern fegt hinter die Kulissen. Die Kinderfrau drückt ihr das schreiende Baby an den Busen. Wir sehen die begnadete (wenn auch >nur reproduzierende<) Künstlerin in der Rolle des Schnullers. Allerdings bekommen wir nur Hepburns liebevoll über das Kind gebeugten Rücken zur Ansicht.
Offenbar passiert da etwas Peinliches, etwas, das wir nicht sehen dürfen, und das Konzertpublikum erst recht nicht. Kunst und Leben, Konzertieren und Stillen — dazwischen liegen Welten!
Was will uns der Film bzw. die Männer, die ihn gemacht haben, mit dieser Szene sagen? Daß eine Künstlerin, die zugleich Mutter ist, eigentlich eine Peinlichkeit darstellt — aber mann verzeiht es ihr lächelnd. Auch der gekürzte Robert betrachtet die innige Szene mit lächelndem Einverständnis.
Das Weib schweige nicht nur in der Gemeinde, sondern auch im Konzertsaal und überhaupt. Besser, wir führen ein Stilleben.
Auf französisch heißt Stilleben übrigens >tote Natur<, nature morte. Abgebildet auf einem Stilleben sind Gegenstände, Früchte oft oder Blumen, dekorativ arrangiert in dekorativem Geschirr, tote Tiere [Jagdbeute], Jagdutensilien [Mordgerätschaften]. >Tote Gegenstände» eben, reglos und still.
1987
Der solidarische Mann
Eine Idylle
Der normale Mann ist ja nicht direkt blöde — er weiß schon, was in unserer Gesellschaft alles zum Himmel stinkt, aber er will es lieber nicht wissen und mackert weiter stumpf vor sich hin. Nur der solidarische Mann wagt es, zu Ende zu denken und bereut sein bisheriges Chauvi-Verhalten aufrichtig. Er hat sich überhaupt radikal geändert, pinkelt nur noch im Sitzen und fordert mit leidenschaftlichem Ernst Gerechtigkeit. Er fordert beispielsweise immer und immer wieder, daß die Parlamente zu 53 Prozent mit Frauen besetzt sein müssen, damit der weibliche Teil des Volkes in der sogenannten Volksvertretung auch wirklich vertreten ist. Natürlich fordert er für die nächste Wahl auch Kanzlerinkandidatinnen. Außerdem fordert er mindestens die Hälfte aller Ausbildungsplätze und qualifizierten Arbeitsplätze für Frauen. Überflüssig zu bemerken, daß er den Namen seiner Frau angenommen hat, obwohl sie Meyer heißt und er ein geborener Graf Harsewinkel ist. Er hütete schon in den siebziger Jahren mit anderen solidarischen Gatten und Vätern die Kinder während der feministischen Sommer-Uni und pflegt seit Jahren klaglos seine bettlägerige alte Schwiegermutter, damit seine Frau sich ihrer Karriere widmen kann. Seiner zwölfjährigen Tochter hat er unter anderem beigebracht, wie frau mit einem Bohrer umgeht und einen Reifen wechselt, und der neunjährige Sohn wird von ihm fachmännisch in der Kunst des Kuchenbackens, Hemdenbügelns und Sockenstopfens unterwiesen.
Unser Herr Meyer spendet monatlich je 100 Mark an Terre des Femmes, Amnesty for Women und die Frauen-Notruf-Zentrale seiner Heimatstadt. Er protestiert lautstark gegen frauenfeindliche Witze, Werbung und Sprache und empört sich bei jeder Gelegenheit über die Busengrapscher und Edelzwicker in seinem Betrieb. Während seine dumpfen Geschlechtsgenossen auf dem Fußballplatz herumgrölen oder eine Frau vergewaltigen, organisiert er, buchstäblich unter Lebensgefahr, die erste reine Männer-Demo gegen die Gewalttätigkeit des Mannes in der Geschichte des Patriarchats. Damit nicht genug, tritt er seit neuestem dafür ein, daß eine Männlichkeitssteuer (ähnlich der Hundesteuer) eingeführt wird, weil er erkannt hat, daß das männliche Geschlecht gesellschaftsschädlich ist. Die Hundesteuer diene dazu — so seine abenteuerliche Argumentation — , die Beseitigung des Hundedrecks zu finanzieren, und die Beseitigung der Männerjauche an allen Ecken und Enden koste schließlich noch mehr Geld. Von der Behebung der Schäden, die Männer sonst noch so anrichten, zu schweigen. Die
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