Alle müssen sterben - Thriller (German Edition)
Zwillingsschwester schreiben würde, aber es war nie ein Artikel erschienen.
Im Spiegel erkannte sie sich wieder. Sie war von den Toten auferstanden, war ihre Zwillingsschwester geworden. Hatte ihre bisherige Existenz abgeworfen, wie eine Schlange die alte Haut abwirft. Nur dass sie nicht so gut zeichnen konnte wie ihre Zwillingsschwester. Ihre Zwillingsschwester war ein Genie gewesen und sehr labil. Labil, wie es hochbegabte Menschen nun einmal sind. Sie hätte mehr auf ihre Zwillingsschwester aufpassen müssen. Doch man hatte sie schon in jungen Jahren getrennt. Sie war zu Pflegeeltern gekommen, die ihr ein schönes Leben ermöglichten. Ihre Zwillingsschwester musste im Heim bleiben, denn keiner wollte das Mädchen mit dem Feuermal. Als die Trennung passierte, hatte sie das Gefühl, als wäre sie in der Mitte durchgeschnitten worden. Nur mehr eine Hälfte, die funktionierte. Die andere Hälfte war lebensuntüchtig geworden. Das war ihre Zwillingsschwester, lebensuntüchtig und hochbegabt, ein Genie, das zerstört worden war.
Sie stand auf und gab dem Mann einen Fußtritt, dass er aufstöhnte, beugte sich ganz nahe zu ihm hinunter, starrte ihm in die Augen und wollte Verständnis in diesen Augen finden. Aber alles, was sie darin sah, war nur Verwirrung und Angst.
Auf dem Boden stand eine längliche Holzkiste, die noch aus Armeebeständen stammte. Sie zog ihre verwaschene Regenjacke aus, griff nach einer Zange, die an der Wand hing, und brach die Kiste auf. Sie nahm die handlichen Dynamitstangen heraus, die sie an Kerzen erinnerten und rot foliert waren, als wären sie für die Torte eines Kindergeburtstages bestimmt.
Aber den letzten Kindergeburtstag mit ihrer Zwillingsschwester hatte die Zeit weggespült und die Fotos der Erinnerung blieben weiß, mit schattenhaften Konturen, die sich aber zu keinen Personen verdichten wollten.
Ihre Zwillingsschwester wurde immer für hässlich gehalten mit dem großen Feuermal, das sich über ihre Wange bis zur Schläfe zog. Nur Jonas Blau hatte ihre Schönheit erkannt und ihre Zwillingsschwester „das schöne Mädchen mit dem Feuermal“ genannt. Das hatte sie ihr mit leuchtenden Augen erzählt. Damals, als sie sich nach langen Jahren wieder gefunden hatten und sie alles daran gesetzt hatte, um ihre Zwillingsschwester aus diesem Sumpf aus Drogen, Obdachlosigkeit und Hoffnungslosigkeit zu retten.
Damals vor zwei Jahren hatte ihre Zwillingsschwester Jonas Blau kennengelernt und sich in ihn verliebt. Das hatte sie ihr erzählt, als sie gemeinsam nachts unter einer Brücke gesessen waren und sich ihr ganzes Leben neu erzählen mussten. Die beiden versprengten Teile eines Ganzen hatten sich wieder gefunden und waren für kurze Zeit wieder eins geworden. Waren Yin und Yang, die nur als Einheit existieren konnten.
Sie wollten sich nie wieder trennen, das hatten sie sich geschworen. Deshalb gingen sie auch gemeinsam zu dem Treffen mit Jonas, bei dem es um die Zeichnungen ihrer Schwester und um viel Geld ging. Doch dann wollte ihre Zwillingsschwester die Sache alleine durchziehen.
„Warte draußen auf mich“, hatte sie gesagt und war in der stillgelegten Unterführung verschwunden und nie wieder aufgetaucht. Sie war ihr aber gefolgt und hatte die Katastrophe aus ihrem Versteck mitangesehen.
Doch Jonas hatte ihre Schwester verraten, bloß weil ihm Tim Kreuzer viel Geld versprochen hatte, wenn er die Zeichnungen besorgen würde. Denn niemand bei Red Zorn hatte Ideen und wusste, wie es weitergehen sollte, nach dem Schlaganfall, der Zoltan Zorn zu einem Wrack gemacht hatte. Doch ihre Zwillingsschwester wollte das Geld nicht, das ihr Jonas anbot, sie wollte ihre Zeichnungen behalten und so kam eines zum anderen. Der Streit eskalierte. Jonas war so schwach und flüchtete, als es ernst wurde. Tim hingegen war selbstbewusst und akzeptierte kein Nein. Aber ihre Zwillingsschwester ließ nicht mit sich handeln. So wurden aus Worten zunächst Schreie. Schläge und Tritte folgten, bis ihre Zwillingsschwester auf dem Boden lag und sich nicht mehr rührte.
Da erschien der Mann, der alles in Auftrag gegeben hatte, dessen Denken von Furcht bestimmt war, der immer nur Angst hatte. Der keine Entscheidungen treffen konnte, doch jetzt wurde eine solche von ihm erwartet. Ihre Zwillingsschwester lag halb tot am Boden, ein Fußtritt von Tim hatte ihrem Feuermal gegolten und ihren Schädel zertrümmert, aber noch immer war Leben in ihr. Der graue Mann kam in die Unterführung, nahm ihrer
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