Alle müssen sterben - Thriller (German Edition)
er seitlich weggestreckt, winkelte es an, um damit einen Tritt gegen die Brust oder noch gefährlicher gegen den Kehlkopf des Gegners zu machen.
Doch Braun war viele Jahre im Straßeneinsatz unterwegs gewesen und kannte natürlich diese primitiven Kickbox-Tricks. Er bückte sich einfach und trat mit seinem Absatz auf den Standfuß von Jimmy, so dass dieser schreiend zurück auf sein Bett plumpste.
„Du schlägst mich! Das ist körperliche Gewalt gegen deinen eigenen Sohn! Das erzähle ich Mama!“
Brauns Psychotherapeutin würde jetzt wieder das Bild vom „Stillen Ozean“ hervorkramen und Braun tauchen lassen, um seine Aggressionen abzubauen. Doch in dieser Nacht war ihm so überhaupt nicht nach Beruhigen. Er packte Jimmy vorne an seinem T-Shirt, zog ihn zu sich hoch und blickte ihm starr in die Augen.
„Hör mir jetzt genau zu, mein Sohn. Du wolltest bei mir wohnen, weil du es mit deiner Mutter nicht mehr ausgehalten hast. Deshalb musst du auch meine Bedingungen akzeptieren. Ist das klar?“
Er schubste ihn wieder zurück auf das Bett.
„Ich erwarte von dir, dass du mir sagst, wo du hingehst. Außerdem bist du in Zukunft um Mitternacht zu Hause. Aber das Wichtigste ist Respekt. Wenn du noch einmal probierst, mich zu schlagen, dann fliegst du hochkantig hinaus!“
„Tut mir leid“, brachte Jimmy gequält hervor und Braun spürte, wie schwer ihm die Worte über die Lippen kamen. „Das habe ich im Schulsportzentrum gelernt. Dort habe ich mir auch das da geholt.“ Er deutete auf die rote Strieme an seinem Kinn.
„Die machen dort Kickboxen.“
„Im Schulsportzentrum wird Kickboxen unterrichtet?“ Braun runzelte die Stirn. „Merkwürdig, ich dachte, du gehst dort zum klassischen Boxen?“
„Ja, ja, meine ich auch“, antwortete Jimmy schnell und drehte sich zur Wand. „Tony, es wird nie wieder vorkommen! Ich verspreche es“, murmelte er in seinen Polster.
Braun warf den Kopfhörer auf die Bettdecke und strich seinem Sohn über die glatten schwarzen Haare.
„Ist schon gut, mein Junge. Ist schon gut! Vielleicht schaffen wir es doch noch, in den Sommerferien ein paar Tage ans Meer zu fahren.“
„Das wird doch sowieso nie etwas“, hörte er Jimmy zwischen den Polstern brummen.
Langsam ging Braun aus Jimmys Zimmer, holte sich in der Küche noch eine Dose Bier, starrte aus dem Fenster auf den Autobahnzubringer und dachte an die vielen Versprechungen, die er schon gemacht hatte: mit Kim ins Kino zu gehen oder mit seinem Sohn auf Urlaub zu fahren. Keines dieser Versprechen hatte er bisher gehalten, das war mindestens genauso schlimm wie der ständige Regen, der auf seine Psyche drückte.
Er blickte auf die Uhr. Schon nach drei Uhr und er war noch keine Spur müde. Im Kühlschrank hatte er noch einige Dosen Bier, mit denen er sich in den Schlaf trinken konnte. Aber plötzlich verspürte er keine Lust mehr nach Alkohol, hielt es in seiner Wohnung einfach nicht mehr aus. Er kramte seine Laufschuhe hervor, schlüpfte in sein schwarzes Jogging Outfit mit den Neonstreifen. Wenn ihn jetzt jemand sehen könnte, würde man ihn für komplett verrückt halten. Um drei Uhr nachts joggen, das war schon ein Ding. Er klippte seinen iPod an die Laufjacke, schob sich die Ohrstöpsel in die Ohren und drehte den Sound voll auf.
Vor seinem Wohnblock blieb er noch auf dem Gehsteig stehen, ließ den Regen minutenlang in sein Gesicht prasseln, ehe er zu einem Sprint ansetzte, um trübe Gedanken und düstere Stimmungen weit hinter sich zu lassen. Er lief und lief, rannte von seiner Wohnung durch die menschenleeren Straßen der Stadt, fühlte sich wie der schwarze Rächer aus einem Comic-Heft seiner Jugend, der das Böse ausmerzt und dafür sorgt, dass die Bewohner der Stadt beruhigt schlafen können.
22. Ein unschuldiger Engel
Die ehemalige kommunistische Parteizentrale in Tiraspol war in ein verkitschtes Luxushotel umgewandelt worden, in dem man ausländische Geschäftsleute unterbrachte und bei Bedarf mit Nutten und Drogen versorgte. Doch Edgar Zorn stand nicht der Sinn nach Sex und Hendrik Glanz war dafür viel zu betrunken. Deshalb verschwanden sie auf ihren Zimmern, ohne den Nachtclub im Keller des Hotels zu besuchen.
Am nächsten Tag wurden Zorn und der wieder ein wenig ausgenüchterte Glanz von Trajan Gordschuk persönlich abgeholt und mit weitschweifigen Erklärungen durch die Fabrik Octotex geführt. Zorn stand noch immer unter dem Eindruck des Gewaltexzesses von Glanz und brachte die Bilder der
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